Wie schön ist diese Stadt, wenn sie erwacht. Wenn unten in den Straßen noch die Dunkelheit alles verschwimmen lässt, was nicht genügend beleuchtet wird. Wenn oben auf den Dächern schon erste Sonnenstrahlen die Schornsteine erst zartrosa, dann krassgelb färben. Darüber ein schüchternes Blau, das wie das Versprechen auf einen schönen Tag über der Stadt schwebt. Ja, es wird ein guter Tag. Dort oben lockt die Hoffnung. Irgendwann wird auch an diesem Dezembertag das Licht hinabstürzen in die Straßenschluchten, irgendwann werden die vereinsamten Restblätter in den geschundenen Bäumen noch einmal ganz kurz erglühen, so, als hätten sie ihre beste Zeit noch vor sich, so als wären sie nicht verdammt, erst zu sinken und dann am Straßenrand vor sich hin zu modern.
Es sind die dunklen Monate, die uns wieder empfindsam werden lassen fürs Restlicht. Erst der Mangel macht bewusst, was einmal da war und nun große Pause hat. Der Mensch schiebt sich derweil durchs Zwielicht, er trotzt dem Wind, der um die Ecken pfeift. Und er ist dankbar, wenn es hell wird. Langsam hell.
Zur Erhellung tragen große Flächen bei. Brachen, die noch nicht bebaut wurden, werden zu Lichtoasen, weil in ihnen das Licht Raum findet. Menschen bleiben dort stehen und sonnen sich. Nur für einen Moment, weil schon einen Augenblick später der Wind sie fortweht, sie weitertreibt in ihrem Trott, den sie Alltag nennen. Aber wenigstens den einen Moment hatten sie, das kurze Glück namens Licht.
Nun gibt es Menschen, die etwas gegen das Licht zu haben scheinen. Sie sagen nicht, dass sie etwas gegen das Licht haben. Das ist der Trick der großen Grauen. Sie sind unterwegs im Auftrag einer bösen Macht. Sie sind entsandt, den Menschen auch den letzten Rest an natürlichem Licht zu stehlen. Sie möchten das kleine Glück namens Licht töten. Sie sagen nicht töten. Sie sprechen von Entwicklung. Von Fortschritt. Von Wachstum.
Jeder weiß, dass jene, die immerzu von Wachstum sprechen, keine Idee haben vom wahren Leben. Sie behelfen sich mit uralten Ideologien, die schon lange widerlegt sind, die hier und da aber immer noch funktionieren, weil sie schnelle Ergebnisse zeitigen. Und weil die Menschen zu faul sind, immer wieder zu widersprechen. Natürlich dürfen die Menschen widersprechen. Wir leben ja in einer Demokratie. Aber man kann vom dauernden Widersprechen auch müde werden. Dann erlahmt der Widerstand, und die großen Grauen haben ihr Ziel erreicht. Sie haben halt Geduld und das Geld, die Sorgen der Mehrheit auszusitzen. Sie warten auf einen schwachen Moment. Dann macht es schnapp, und die Falle schließt sich. Dann wird gebaut.
Also heißt es wach bleiben. Einer muss immer aufpassen, dass die großen Grauen nicht noch mehr vom Licht stehlen. Immer wieder muss gesagt werden, dass es gerade die Lücken sind, die das Leben lebenswert machen. Wenn erst alles bebaut wird, ist der Dezember unerträglich. Wer will schon den ganzen Tag unter kaltem LED vegetieren. Wenn niemand die großen Grauen stoppt, dann kommen sie bald auf die Idee, dass der Rhein eine prima Wachstumsmöglichkeit bietet. Man könnte den Fluss doch überbauen. Man holt Frank O. Gehry, Daniel Libeskind und Renzo Piano herbei, und die setzen dann eine große Platte über den Fluss. Oben drauf kommen tolle Geschäfte. Vielleicht eine Douglas-Filiale, ein H&M-Ableger und ein bisschen Esprit.
Noch ist Zeit, den großen Grauen, die das Licht stehlen wollen, Einhalt zu gebieten. Bevölkert die Plätze, die noch Licht bieten! Macht euch breit, wo es schön ist! Beansprucht den Raum, der euch zusteht! Sonst ist am Ende alles dunkel, und die Stadt kann nicht mehr erwachen, weil es kein echtes Licht mehr gibt.
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