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ZART ABER FAIR

Ouvertüre von Anne Florack / März 2022

Heute Morgen wurde ein Sarg über die Straße getragen. Ich schaute vom Küchenfenster aus zu. Neben dem Haus, aus dem die Transporteure kamen, ge­genüber von meiner Wohnung, ist eine Grund­schule. Es war circa halb acht und entsprechend viel los. Manche Eltern drehten die Köpfe ihrer Kinder energisch in sargarme Richtungen, andere hielten dem Nachwuchs panisch die Augen zu. Eine Autoschlange bildete sich. Mir war nach Adagio in Moll, der Person im Stadtgeländewagen wohl nicht, denn sie hupte wiederholt. Offensichtlich muss man sich beim Erd­möbeltransport sputen. Auch im Vorfrühling. Heimlich bin ich ja Optimistin, aber in solchen Momen­ten sehe ich für die Menschheit schwarz.

Das führt mich zu den herzlichen Reaktionen auf mei­ne Premiere in der Februar-Ausgabe, denn die bewirkten glücklicherweise genau das Gegenteil. In meinem Postfach tummelten sich freundliche, überraschende und rührende Nachrichten, was mich irre feiertäglich stimmte. Einmal dachte ich sogar, ich sei jetzt berühmt, weil mich in der Altstadt ein Leser auf die Ouvertüre ansprach. Sein Interesse galt jedoch bloß der Dackellampe auf dem Foto. Er blieb kein Einzelfall. Drei weitere wildfremde Personen sprachen mich ausgerechnet darauf an. Nun also einmal für alle: Mei­ne Lampe heißt Eduardo. Von Freundinnen und Freun­den darf sie Eddy genannt werden und ich habe ohne zu flunkern den Eindruck, dass Eddys Gold­näschen mittlerweile ein bisschen höher gen Himmel ragt und er davon ausgeht, dass ich bald einen Hof­knicks übe. Werde ich vielleicht Düsseldorfs erste Dackellampen­beauftragte? Jedenfalls empfehle ich allen Eddy-Enthusiast:innen hiermit den fantastischen La­den, ach was, das unvergleichliche Kreativim­perium „Vaseline“ von Rolf Buck an der Wallstraße 35. Dort fand Eddy mich in finsterer Verfassung. Ich kaufte ihn sofort. Eine Freundin erklärte mir später, wie instinktiv und richtig es war, an einem düsteren Tag einen Leuchtkörper aufzutreiben.

Diese Freundin und ich, wir beide sind fleißige (Selbst-)Zweiflerinnen. Als Reparaturtechnik für fragile Pha­sen erfanden wir deshalb ein wirksames Ritual. Wir nennen es: Stärken stärken. Dafür notieren wir eine Eigenschaft, die wir aneinander schätzen. Sie an mir, ich an ihr. Auf Papier. Dann schicken wir uns diese Notiz gegenseitig. Per Post. Einer dieser Zettel – ich bewahre sie alle auf – hängt gut sichtbar in meiner Küche.

Das wiederum, bitte verzeihen Sie meine Flatter­haftigkeit, bringt mich zu einer anderen Rückmeldung. Sie enthielt den Hinweis, ich müsse in dieser Kolumne härter werden, um mich mit meinem Vorgänger messen zu können. Dazu eine Anmerkung: Besser werden hätte ich ja noch gelten lassen. Aber härter? Das hier bin doch ich. Mit zahlreichen Schwächen, aber auch mit einer Stärke, die mich immer sicher nach Hause brachte, und zwar jener, die auf dem Zettel in meiner Küche steht: radikale Zärtlichkeit. Und wenn ich eines Morgens uralt in einer Kiste über eine Straße geschleppt werde, möchte ich eines nicht gewesen sein: hart.

Wer mir dennoch oder gerade deshalb schreiben möchte, kann das ab jetzt übrigens hier tun: ouverture@biograph.de
P.S.: Bitte nicht hupen.

Sincerely & emphatically
Anne Florack

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