Anna Karenina
GB, F 2012, Laufzeit: 130 Min., FSK 12
Regie: Joe Wright
Darsteller: Keira Knightley, Jude Law, Aaron Taylor-Johnson, Kelly Macdonald, Matthew Macfadyen, Domhnall Gleeson, Ruth Wilson
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Nach seinen erfolgreichen Literaturadaptionen von „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“ widmet sich der britische Regisseur Joe Wright nun einem großen russischen Klassiker, den er, erneut mit Keira Knightley in der Hauptrolle, auf opulente Weise zu neuem Leben erweckt. Seine „Anna Karenina“-Version ist eine ungewöhnlich theatrale, fast opernhafte Neuinszenierung, die den Realismus der Romanvorlage zu Gunsten eines fantastisch ausgestatteten Sittenbildes hinter sich zurück lässt.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Tolstoi selbst stets seine Vorbehalte gegen das Theater pflegte, das er als Schauplatz der Eitelkeiten, sowohl auf Seiten der Bühne, wie auch bei den Zuschauern kritisierte. Insofern ist Wrights Inszenierungsansatz erstaunlich – dieser stellte auf seiner Suche nach passenden Drehorten in Russland bald fest, dass er sich auf dem besten Weg zu einer ziemlich gewöhnlichen Literaturverfilmung befand.
So ging er zurück ins Studio und suchte einen gänzlich anderen Zugang: Er lässt die Inszenierung fast komplett in einem Theater spielen. Vom Pferderennen über die Einfahrt des schicksalhaften Zuges in den verschneiten Bahnhof – stets sehen wir die Ausstattung klar als solche ausgestellt. Eine dynamische Kamera folgt in langen Einstellungen den Akteuren bei ihrem Auftritt auf dem gesellschaftlichen Parkett, begleitet sie durch die Räume, die zur Bühne ihres Lebens werden. Auf einer weiteren Ebene reflektiert Wright auf diese Weise das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre, ständig fühlen die Protagonisten den wertenden, normierenden Blick der Anderen wie ein Korsett auf sich. Auch die Ehe der lebenslustigen Anna (Keira Knightley) mit dem weitaus älteren Staatsbeamten Alexeij Karenin (Jude Law) gleicht einer Aufführung, die jeglicher Spontanität und Leidenschaft entbehrt. Dennoch setzt die junge Frau alles daran, die vom Scheitern bedrohte Verbindung zwischen ihrem ehebrechenden Bruder Stepan Arkadjewitsch und seiner Frau Dolly wieder ins Reine zu bringen und eine Scheidung zu verhindern. Anna beschwört die Macht der Vergebung – etwas, womit sie wenig später selbst ringen wird. Denn bereits am Bahnhof begegnet sie einer Versuchung, die nicht nur ihr Leben heimsuchen wird, sondern eine Kette von unglückseligen Ereignissen auslöst: Dem charismatischen Grafen Wronskij (Aaron Taylor-Johnson). Dollys Schwester Kitty macht sich große Hoffnungen auf einen Heiratsantrag des aparten Playboys, nicht ahnend, dass dieser daran wenig Interesse hat und sich als ewigen Junggesellen entwirft. So gerät die Ballnacht, auf die Anna die aufgeregte junge Dame begleitet, zum Eklat: Im wallenden schwarzen Kleid stiehlt Anna der blassen Kitty, ein wenig Tschaikowskis Schwanensee aufrufend, die Show und den Mann. Umso tragischer ist dies, weil Kitty zuvor einen tatsächlichen Heiratsantrag des gutgläubigen Lewin ausgeschlagen hat, dem sie alles bedeutet. Verzweifelt flüchtet der hilflose Idealist, der nicht aufhören will an die wahre Liebe zu glauben, sich aufs Land – hier öffnet Wright das Theater-Dispositiv in Bilder weiter, offener Landschaften, die den Raum einer Revolution erahnen lassen. Lewin arbeitet mit seinen Bauern zusammen auf den Feldern und räsoniert über die Grausamkeit einer restriktiven Gesellschaft, die bereits im Begriff ist, sich durch ihre Unmenschlichkeit selbst zu zerstören. „Anna ist keine Verbrecherin, doch sie hat die Regeln gebrochen“, wird später eine Aristokratin abfällig äußern, als die Ehebrecherin aus Leidenschaft es dennoch wagt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wright gelingt es, jene ungeschriebenen Gesetze von Anstand und Tugend auch visuell für den Zuschauer in ihrer tragischen Konsequenz erfahrbar zu machen und gleichzeitig in rauschhaften Bildkompositionen für große Unterhaltung zu sorgen, die Opulenz mit inszenatorischer Raffinesse verbindet.
(Silvia Bahl - biograph)