Café Belgica
Belgien, Frankreich, Niederlanden 2016, Laufzeit: 127 Min., FSK 12
Regie: Felix van Groeningen
Darsteller: Tom Vermeir, Stef Aerts, Hélène De Vos
>> www.belgica-film.de
Mit „The Broken Circle“ sicherte sich Felix van Groeningen eine Oscar-Nominierung und rührte weltweit das Publikum zu Tränen. Auch in seinem neuen Film, der beim diesjährigen Sundance Festival den internationalen Regiepreis gewann, setzt er auf einen eigenwilligen Kosmos voller Musik, thematisch wieder näher bei den früheren Arbeiten, wie „Die Beschissenheit der Dinge“. Gemeinsam mit seinen Jugendfreunden, die als Combo „2manyDJs“ und später „Soulwax“ nicht nur die belgische Clubszene aufmischten, setzt er der Feierkultur in allen ihren Facetten ein Denkmal, natürlich mit ausgezeichnetem Soundtrack.
Für Felix van Groeningen ist „Café Belgica“ vielleicht der Film mit dem stärksten autobiografischen Bezug - es handelt sich diesmal nicht um eine Literatur- oder Bühnenadaption, sondern ein Originaldrehbuch, das vor allem von der Erfahrung geprägt ist, wortwörtlich im angesagtesten Club Gents aufgewachsen zu sein, dessen Besitzer sein Vater über Jahrzehnte war. Die Ambivalenz dieser Jugend scheint auch in den Protagonisten Jo und Frank immer wieder auf, ein Brüderpaar, das, wie die meisten Figuren in van Groeningens Filmen, immer ein bisschen am Abgrund steht. Die Prekarität ist allerdings nie Grund zur völligen Verzweiflung, sondern erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre, einen eigenen Heroismus.
So unterschiedlich die jungen Männer charakterlich auch sind, es verbindet sie die Sehnsucht sich selbst zu vergessen, Teil von etwas Größerem zu werden.
Als Jo einen heruntergekommenen Laden in der Stadt gekauft hat, fällt Frank die Entscheidung mit einzusteigen daher sehr leicht, obwohl einiges dagegensprechen sollte. Frau und Kind zum Beispiel, die er Dank seiner Kneipentouren ohnehin kaum sieht. So bildet sich um die Frage der Verantwortung auch das Herzstück des Films: Die Brüder verfluchen ihren Vater, der die Familie für seinen Suff im Stich gelassen hat und träumen umso mehr von einem utopischen Ort des grenzenlosen Zusammenhalts. Diesen erschaffen sie sich mit dem „Café Belgica“ und laufen doch in Gefahr, gerade durch ihn die ungeliebte Familiengeschichte zu wiederholen.
Was vorher nur eine abgerissene Bruchbude war, wird von den beiden zu einem Szene-Treffpunkt umgebaut, der in seinen besten Momenten ein ungeheures kreatives Potential anzieht, unbekannten Musikern eine Bühne wie auch ein Zuhause bietet.
Mit den liebsten Menschen gemeinsam ein Projekt zu starten, kann eine paradiesische Unternehmung sein, allerdings auch schnell zur Hölle werden, wenn persönliche Konflikte die Arbeit überschatten. So dauert es auch nicht lange, bis der extrovertierte Frank sich im Drogenrausch verliert und durch zügellose Affären für Familie und Freunde untragbar wird. Jo dagegen sucht vergeblich nach Gegenseitigkeit und Stabilität in einer Welt, die von einer Afterhour zur nächsten lebt.
Für einen Moment wird das „Café Belgica“ tatsächlich zu einer gesellschaftlichen Utopie, als die beiden mit ihrer Türpolitik ein Zeichen setzen: Keine Diskriminierung von Migranten, kein Einlassverbot für sozial Schwache. Wenn es Probleme gibt, braucht man eben kreativere Lösungen durch mehr Zusammenhalt. Dies hätte ruhig noch mehr im Fokus der doch recht ausufernden Story stehen können, die ein wenig in Gefahr läuft, wie so viele autobiografische Stoffe, den Faden zu verlieren. Insofern ähnelt der Film Mia Hansen Løves French House-Epos „Eden“. Die Atmosphäre einer verlorenen Szenekultur zu inszenieren, ist nicht leicht und gelingt van Groeningen vor allem durch die großartigen Livesets, die Soulwax eigens für „Café Belgica“ geschrieben haben.
(SILVIA BAHL)