Capernaum – Stadt der Hoffnung
Libanon, Frankreich 2018, Laufzeit: 123 Min., FSK 12
Regie: Nadine Labaki
Darsteller: Zain Alrafeea, Yordanos Shifera, Boluwatife Treasure Bankole
>> www.capernaum.de
Zain, ein etwa 12-jähriger syrischer Junge aus einem Flüchtlingslager im Libanon, hat einen Mann erstochen und ist dafür im Gefängnis gelandet. Doch im Gerichtssaal, in dem er zu Beginn des Films steht, ist er nicht der Angeklagte, sondern der Ankläger. Die Beklagten sind seine eigenen Eltern, seine Begründung: sie hätten ihn auf die Welt gebracht - eine Welt, in der sie sich nicht um ihn kümmern können und die Zain als Zumutung empfindet. In Cannes wurde der Film der libanesischen Regisseurin und Schauspielerin Nadine Labaki ("Caramel)" mit einer 15-minütigen stehenden Ovation und unter anderem mit dem Preis der Jury bedacht. Als provozierende Anklage gegen eine gleichgültige Gesellschaft und zugleich bewegendes Plädoyer für mehr Menschlichkeit ist "Capernaum" ein heißer Anwärter auf den Auslands-Oscar.
Im Laufe ihrer dreijährigen Recherche für den Film entschied sich Labaki, die Rollen ihres Film mit Laiendarstellern „von der Straße" zu besetzen. Eine kluge Entscheidung, denn es machte sich bezahlt, dass diese die Umgebung und ihre Bedingungen kannten und so die Handlung aus ihrer eigenen Perspektive schauspielern konnten. Und so schildert Zain, unterstützt von einer Anwältin, in Rückblenden vor Gericht seine Geschichte, die stellvertretend für die vieler Flüchtlinge steht, die derzeit auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben die Auffanglager und Slums der Erde bevölkern.
Zain lebt mit seiner Eltern und mehreren Geschwistern in einem Armenviertel von Beirut. Seine illegal eingewanderte Familie versucht sich mit Drogenschmuggel mühsam über Wasser zu halten. Während andere Kinder des Viertels zur Schule gehen, muss Zain zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, indem er Lieferungen an den schmierigen Kleinhändler Assad übernimmt. Dafür gewährt ihnen Assad eine kümmerliche Unterkunft, doch dies genügt ihm nicht. Er hat ein Auge auf Zains Schwester geworfen und wird mit den Eltern schnell handelseinig. Das elfjährige Mädchen wird gegen ein paar Hühner eingetauscht und als Braut verkauft.
Zain ist entsetzt und beschließt, seinem Elternhaus zu entfliehen, das ihm keine Perspektive bietet und ihm jetzt auch noch das nimmt, was er am meisten liebt. Auf der Flucht läuft er der äthiopischen Reinigungskraft Rahil über den Weg und findet bei ihr Unterschlupf. Auch sie hat keine Papiere, dafür aber ein Baby, mit dem sie in ärmlichen Verhältnissen in einem Slum lebt. Um mit ihrem Sohn nach Europa fliehen zu können, versucht sie Dokumente zu bekommen, doch die sind teuer. Einzige Alternative wäre es, ihr Kind zurückzulassen, doch das kommt für sie nicht in Frage.
Eines Tages wird Rahil auf der Straße verhaftet und kehrt abends nicht heim. Ohne den Grund ihres Verschwindens zu kennen, muss Zain, völlig auf sich allein gestellt, die Mutterrolle für den kleinen Yonas übernehmen. Und diesmal, will er nicht versagen, wie bei seiner Schwester. Er ist fest entschlossen, den Kleinen zu beschützen, auch wenn er dabei einen Menschen töten muss.
Mit einer unglaublichen Sicherheit führt Labaki ihre jugendlichen Darsteller und spornt sie zu Höchstleistungen an. So wirkt der Film authentisch, ohne auf die Tränendrüse zu drücken, schildert eine Welt, die kaum noch Platz für Mitleid lässt. Ein starkes Stück Kino, das einen nicht so schnell loslässt, und pünktlich zum 2019 beginnenden Jahr der Kinderrechte einen beeindruckenden Auftakt setzt.