Cinemania
Deutschland/USA 2002, Laufzeit: 80 Min.
Regie: Angela Christlieb, Stephen Kijak
Darsteller: Jack Angstreich, Roberta Hill, Bill Heidbreder, Harvey Schwartz, Eric Chadbourne
Obsession Kino
Kinokeule (541), 01.09.2005
Wann wird ein Hobby zur Besessenheit? Wo ist die Grenze zwischen Verschrobenheit und Irrsinn? Diese 5 New Yorker Kinogänger haben ?normale? Filmleidenschaft längst hinter sich gelassen. Sie sammeln Filmprogrammhefte und müllen damit ihre Wohnung zu. Sie häufen unsinniges Filmwissen, wie sekundengenaue Filmlängen von Filmklassikern, an. Sie haben erotische Träume von Hollywoodlegenden, aber nur in schwarz-weiß.
Anfänglich dachte ich, dass es sich bei diesem Film nicht um einen Dokumentarfilm handelt, so absurd verhalten sich diese Kinogänger.
Die hier Porträtierten leiden an psychischen Obsessionen, die sich zufälligerweise auf das Kino richten. Es werden Grenzen überschritten und Dritte geschädigt und belästigt. Na klar, ist das Verhalten auch lustig und bizarr. Aber es werden halt auch Mieten nicht bezahlt, weil sonst kein Geld für den Kinoeintritt übrig bleibt und anderen Zuschauern wird Prügel angedroht, wenn sie auf dem angestammten Sitz Platz nehmen.
Nach anfänglichen Staunen und Schmunzeln überwiegt bei mir am Ende doch Mitleid mit diesen 5 Kinofreaks, deren Leben sich einsam in dunklen Kinosälen abspielt. Ein realistischer Ausweg wird nicht aufgezeigt und trotz gelegentlicher Selbstreflexion und der Chance, nach diesem Film eine Art Selbsthilfegruppe zu gründen, sind diese Filmfreaks verlorene Seelen. Sie ziehen einsam ihre Bahnen, auf der Suche nach immer mehr Filmen (5 Sterne).
Keine Zeit fürs Klo
Colonia (683), 16.04.2003
Also wieder ein Doku-Streifen im Kino (mit der damit in den meisten Fällen einhergehenden schlechten Bildqualität), wieder ein interessantes Thema: Kinofans, Kinoverrückte, Kinosüchtige in New York City. Die deutsch-amerikanische Produktion, mit Mitteln der Filmförderung NRWs und Brandenburgs hergestellt, begleitet fünf Kinosüchtige, die ihren gesamten Tagesablauf nach dem Kinoprogramm ausrichten. Jeder von ihnen sieht bis zu sechs Filme pro Tag (!) - und das jeden Tag und seit Jahren bzw. Jahrzehnten. Dass es daneben keinerlei andere Interessen oder Familie oder einen Job in ihrem Leben gibt oder auch nur geben kann, liegt auf der Hand. Der Tagesablauf muss minutiös geplant und zum Teil müssen weite Strecken von Kino zu Kino überwunden werden, damit das System funktioniert. Alle fünf führen eine Existenz am Rande der so genannten "normalen" Gesellschaft, leben - jeder für sich - auf engstem Raum in einem Berg von gesammeltem Material und Unrat. Einer der fünf erzählt: "Einmal habe ich 1000 Filme in 8 Monaten gesehen. Aber das war zu viel." Wie extrem eng das Leben anhand der Kinovorstellungen geplant wird, zeigt, dass einer der fünf sogar zugibt, "keine Zeit fürs Klo" zu haben. Also wird möglichst ballaststoffarm gegessen. Und er meint dies keineswegs im Scherz. - Was sind das für Menschen? Psychiater nennen ihr Tun "zwanghaft", aber das hält sie nicht ab. Sie haben Angst, irgend etwas zu verpassen, wenn sie eine Vorstellung auslassen. Der eine kennt jede Laufzeit zu jedem Film auswendig, der andere achtet darauf, nur "frische" Kopien zu sehen, der nächste schleppt eine Tasche voller Pillen für und gegen alles und jedes und Rheumaunterwäsche für den Fall, dass es kalt im Kino sein könnte, mit sich herum. Alle fünf entfliehen der Realität und leben ganz und gar in der "Realität" der Kinofilme (einer Scheinwelt), die sie sehen. Sie sind mehr oder weniger verschroben und mittellos. Roberta, die einzige porträtierte Frau, ist von einer Räumungsklage bedroht. - Der Film stellt alle fünf nicht wirklich bloß und ich bin als Zuschauer weit davon entfernt, sie einfach für "verrückt" zu halten. Viele Einsichten und fast philosophische Betrachtungen liefern zwei der fünf New Yorker selbst, was zeigt, dass sie durchaus in der Lage sind, ihr Tun zu reflektieren. Die Macher des Films enthalten sich jeglichen Kommentars und lassen die Kinofans sowie einige andere Menschen einfach erzählen, was tiefe Einblicke in das Seelenleben der Fans gewährt. Und vielleicht ist die zentrale Aussage des Films die Frage, wer eigentlich bestimmt, was Realität ist. Wer sagt, dass die Realität außerhalb des Kinos die einzig richtige und daher vorzuziehen ist? Aber wem erzähle ich das hier an dieser Stelle, einem Kino-Fan-Forum?!