Cosmopolis
Kanada, Frankreich 2012, Laufzeit: 112 Min., FSK 12
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Jay Baruchel, Kevin Durand, K'Naan, Emily Hampshire, Samantha Morton, Paul Giamatti
Regie-Altmeister David Cronenberg („eXistenZ“, „Eine dunkle Begierde“) schickt in seiner Adaption des Kult-Romans von Don DeLillo Twilight-Star Robert Pattinson auf eine gefährliche Odyssee durch ein New York am Rande des Abgrunds. Die leichten Modifikationen gegenüber der 2003 erschienenen Buchvorlage machen „Cosmopolis“ noch stärker zu einem zeitkritischen, intelligentem Kommentar auf die Finanzkrise, der den inneren Zusammenbruch eines globalen Gesellschaftssystems durch pointierte Dialoge zu illustrieren weiß.
Alles, was er will ist ein Haarschnitt. Der 28jährige und von Leben gelangweilte Multi-Billionär Eric Packer (Robert Pattinson) beschließt sich trotz vehementer Sicherheitswarnungen seiner Bodyguards auf den Weg ans andere Ende der Stadt zu machen, in den Friseurladen seines Vertrauens. Doch der Verkehr ist aufgrund eines Präsidentenbesuches, dem Begräbnis eines Star-Rappers und anarchistischen Ausschreitungen völlig lahmgelegt. So bewegt sich auch Packers weiße Stretchlimousine, sein bevorzugtes Fortbewegungsmittel, nur im Schritttempo durch die Straßenschluchten New Yorks. Gepanzert und verspiegelt schirmt sie ihn einerseits von seiner Außenwelt ab, durch die Vollausstattung mit diversen High-Tech-Gerätschaften und Screens ist Packer jedoch stets am Puls der Zeit und mit allem verbunden, beobachtet unermüdlich die Kursentwicklungen ferner Länder, um anderen Spekulanten einen Schritt voraus zu sein. Doch das scheinbar so lineare und voraussagbare System folgt seinen eigenen Gesetzen; Packers Imperium ist bedroht, ebenso wie sein eigenes Leben – ein Unbekannter hat einen Mordanschlag angekündigt, der nun hinter jeder Ecke zu lauern scheint. In einem im Stau stehenden Taxi entdeckt der Billionär seine aparte blonde Frau (Sarah Gadon), die nochmals um Längen reicher ist als er und die seine angeschlagenen Finanzen sanieren könnte, doch trotz ihrer Makellosigkeit und Intelligenz bleibt Packer unfähig eine Beziehung zu ihr aufzubauen, die über gemeinsame, distanzierte Restaurantbesuche hinaus geht. Statt dessen vergnügt er sich in seinem mobilen Zuhause mit seiner Langzeitaffaire (Juliette Binoche), einer wesentlich älteren Kunsthändlerin, vor der er keine Hemmungen hat und die ihm gelegentlich teure Gemälde vermittelt – doch diesmal will Packer mehr. Die ganze Kapelle des Avantgarde-Künstlers Rothko will er erstehen und sich in sein Apartment eingliedern lassen, um das Wort „unverkäuflich“ endgültig aus dem Diskurs zu tilgen. Doch egal wie viele Objekte er seinem Besitz einverleibt, die Angst bleibt. Packer lässt wie jeden Tag einen Arzt in sein Fahrzeug kommen, der ihn bis auf die Prostata auf dem Kopf stellt, weil er den Tod fürchtet und der schleichende Prozess des Verfalls ist allgegenwärtig. In seinem Körper, wie auch in dem System an das dieser gebunden ist. Die Reise zum anderen Ende der Stadt wird eine Reise in den Abgrund.
Cronenberg untersucht die Möglichkeiten, wie Macht zugrunde gehen kann oder sich in etwas anderes transformiert – wie kann man sich das in den Zeiten des globalen Kapitals vorstellen? Es ist keine Revolution die das System zu Fall bringt, obgleich in den Straßen die Protestbewegungen wüten und Packers Auto beschmieren und attackieren. Die These des Buches ist, dass die Selbstzerstörung schon in der Ordnung implizit ist, der Kapitalismus führt zwangsläufig in seine eigene Auflösung. Vor- und Abspann hat Cronenberg mit animierten Gemälden im Stile Pollocks und Rothkos gestaltet – eine Referenz auf die Auflösung der Formen, auf die Ideale der (damaligen) Avantgarde, durch Kunst einen Raum jenseits der Ökonomie zu erzeugen, ironisch natürlich, wenn man sich die Entwicklung des Kunstmarktes anschaut. Der junge Billionär ist weniger ein ausbeuterischer Gordon Gecko, sondern eher ein tragischer Symptomträger der neoliberalen Dekadenz, dessen Langeweile und innere Leere den Todestrieb eines ganzen Systems offenbaren.
(Silvia Bahl - biograph)