Das Licht
Deutschland 2024, Laufzeit: 162 Min., FSK 12
Regie: Tom Tykwer
Darsteller: Tala Al Deen, Lars Eidinger, Nicolette Krebitz
Was ist eigentlich, wenn es nicht mehr fünf vor Zwölf ist, sondern schon fünf nach Zwölf, wenn wir all unsere Probleme nicht mehr lösen können, weil wir zu lange nichts getan, sie zu lange verdrängt haben und nicht aktiv angegangen sind? Jetzt sehen wir die Probleme täglich im Fernsehen: Egal ob Klima, Wirtschaft, Frieden oder die Demokratie, alles im Krisenmodus und warten auf politische Lösungen, die nicht einmal in Sicht sind. Müssen wir uns in der Dauerkrise einrichten und was macht das mit uns und unserer Familie? Tom Tykwer hat einen komplexen Film über unser modernes Leben gedreht, der unsere derzeitige psychologische Lage auf den Punkt bringt, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Bildern. Mit DAS LICHT eröffnete er bereits zum dritten Mal die Berlinale.
Vielleicht sind die Engels eine ganz normale Familie, aber irgendwie mag man das Wort nicht verwenden, denn normal ist hier eigentlich gar nichts. Vater Tim arbeitet in einer Werbeagentur und fühlt sich dort als kreativer Kopf. Er hält sich für eine Wortmaschine und textet auch gerne zuhause alle zu. Da ist zum einen seine Frau Milena, die ihm schon lange nicht mehr zuhört und ihr eigenes Ding gefunden hat. Sie geht völlig auf in einem Projekt, das ein Kulturzentrum für Kinder (Christoph Schlingensiefs Operndorf lässt grüßen) in Afrika bauen will. So reist sie ständig hin und her zwischen den Kontinenten. Ihren Kindern ist das ziemlich egal, sie alle gehen ihre eigenen Wege, leben eher nebeneinander her als miteinander. Man kriegt sie nicht einmal zum Abendessen alle zusammen an einen Tisch.
Das geschieht erst, als sie eines Morgens ihre Haushälterin tot in der Küche auffinden. Da hat sie offensichtlich schon die ganze Nacht gelegen und niemand hat es gemerkt. Unter Tränen wird ihnen klar, dass sie sie nie wirklich 'gesehen' haben, sie kennen noch nicht einmal ihren Nachnamen. Aber 'sieht' sich in dieser Familie überhaupt noch jemand?
Tim und Milena gehen deswegen zur Paartherapie, aber auch hier ist es schwierig, sie an einen Tisch zu bekommen, denn einer kommt immer zu spät oder hat den Termin sogar ganz vergessen.
Mit der Syrerin Farrah kommt eine neue Haushälterin ins Haus. Sie hat sich auf dem Arbeitsamt die Engels gezielt ausgesucht, bei ihnen will sie arbeiten, obwohl das weit unter ihrer Qualifikation ist. Von Anfang an ist sie für jedes Familienmitglied der Kummerkasten, hört jedem zu und wird zukünftig daran arbeiten, dass sie sich auch untereinander wieder sehen und erkennen.
Mit Farrah führt Tom Tykwer eine mythische Person in seinen Film ein, die eine Lösungsmöglichkeit aller Probleme anbieten soll. Um Probleme zu lösen, muss man sie erst einmal sehen, aber dazu sind wir oft nicht in der Lage, so sehr haben wir uns auf unser Ziel fixiert. Von ihm müssen wir uns lösen und wieder unsere Umgebung mit in den Blick nehmen. Um das wieder zu lernen, bringt Tykwer die Metapher des Lichts ins Spiel, vor dem sich die ganze Familie zu einer Seance versammelt. Wem das zu esoterisch ist, für den bietet er auch eine wissenschaftliche Erklärung, denn das Licht soll im Gehirn ein Hormon freisetzen, das nur zweimal im Leben ausgeschüttet wird: Während der Geburt und während des Sterbens soll es uns helfen loszulassen.
Zugegeben, so ganz überzeugend ist Tykwers Lösung nicht, aber die Probleme bringt er mit großer Wort- und Bildgewalt auf die Leinwand. Auf der Pressekonferenz bedankte er sich bei seinem österreichischen Kameramann Christian Almesberger, der mit sensationellen Kamerafahrten insbesondere in der Vertikalen Bilder einfing, wie wir sie im Kino noch nicht gesehen haben. Auch wenn man über das Thema trefflich streiten kann, die Bilder machen aus dem Film, was in Deutschland so selten geworden ist: echtes Kino!