Das Tagebuch der Anne Frank
Deutschland 2016, Laufzeit: 128 Min., FSK 12
Regie: Hans Steinbichler
Darsteller: Lea van Acken, Martina Gedeck, Ulrich Noethen, Margarita Broich, Stella Kunkat, André Jung
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„Einmal wird dieser schreckliche Krieg doch aufhören, einmal werden wir auch wieder Menschen und nicht allein nur Juden sein“ so schrieb Anne Frank vor rund 70 Jahren in ihrem Tagebuch. Mit eindrucksvoller Beobachtungsgabe, Klugheit und Humor schrieb sie vom Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten. Ihre Wortwahl war so eindringlich, dass aus dem Tagebuch einer Pubertierenden Weltliteratur geworden ist. Jetzt versucht sich erstmals ein deutsches Team an die Verfilmung und wählt ein neuen Ansatz. Sie stellen das junge Mädchen in den Vordergrund, legen den Schwerpunkt auf ihre Geschichte.
Dass dies gut geht, ist eigentlich nur der 16-jährigen Hauptdarstellerin Lea van Acken zu verdanken, die schon in ihrem Kinodebüt „Kreuzweg“, der auf der Berlinale 2014 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, zu überzeugen wusste. Sie legt ihre Anne Frank nicht als tragische Figur oder Opfer der Geschichte an, sie versucht ein ganz normales junges Mädchen zu spielen.
Zu ihrem dreizehnten Geburtstag erhält sie von ihrem Vater ein Tagebuch geschenkt, in dem sie fortan die Geschichte ihrer Adoleszenz festhält. Von der Kinderstube in Frankfurt, über die Emigration nach Amsterdam, bis hin zum Versteck im Hinterhaus des Firmensitzes ihres Vaters. Hier leben sie mit einer anderen Familie zu acht auf fünfzig Quadratmetern und die Angst ist ihr ständiger Begleiter – nachts vor den Bombenangriffen, tags vor dem Entdecktwerden. Und dennoch entwickelt sich hier ein streckenweise normales Zusammenleben. Es wird gelacht, geweint, gestritten und sich versöhnt. Und Anne entdeckt neugierig, was es bedeutet, erwachsen zu werden. In ihrem Tagebuch hält sie ihre Gedanken und Gefühle fest. Nicht ihre schlaue Wortwahl und ihre feine Beobachtungsgabe stehen hier im Vordergrund, sondern ihr emotionaler Zustand, ihre Träume, Ängste und Sehnsüchte, ihre Forderung nach einem Recht auf Leben und Liebe. Dabei kann sie auch schlecht gelaunt, missmutig und furchtbar ungerecht zu ihren Mitmenschen sein. Attribute die man in Zusammenhang mit Anne Frank sonst selten hört, und dennoch sind sie nachvollziehbar, menschlich und vor allen ungeheuer ehrlich. So spielt sich Lea van Acken in die Herzen ihres Publikums und bietet eine Identifikationsmöglichkeit insbesondere für junge Menschen, sich in diese Zeit und diese Situation hinein zu versetzen.
Dank des Zugangs zum Familienarchiv und der Beautragung zur Neuverfilmung durch den Anne Frank Fonds konnten die Produzenten aus dem Vollen schöpfen und sie gingen auf Nummer sicher. Das Drehbuch schrieb Fred Breinersdorfer, der sich bereits mit Drehbüchern zu ähnlichen Stoffen wie „Elser“ und „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ empfohlen hat. Regie führt Hans Steinbichler, der mit „Hierankl“ und „Winterreise“ sein Gespür für schwere Stoffe bewiesen hat, und neben der großartigen Lea von Acken spielen Martina Gedeck als Annes Mutter, Ulrich Noethen als ihr Vater Otto.
So kommt der Film einem Mädchen sehr nahe, das den Krieg erlebt, und dennoch Zukunftspläne schmiedet, mit den Eltern und der Schwester streitet und sich erstmals verliebt. Und das trotz seiner ausweglosen Situation und den damit verbundenen Ängsten an seinen Hoffnungen, Sehnsüchten und Träumen festhält. Ein außergewöhnliches, sehr persönliches und bewegendes Portrait, das uns auffordert bei Unrecht nie zu schweigen, oder um es mit Annes Worten zu sagen: „Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Erwartungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube.“
(Kalle Somnitz)