Dein Weg
USA, E 2010, Laufzeit: 123 Min., FSK 0
Regie: Emilio Estevez
Darsteller: Martin Sheen, Deborah Kara Unger, James Nesbitt, Yorick van Wageningen, Tchéky Karyo
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Auf dem Jakobsweg wird aus einem losen Verbund von Chaoten nach und eine Gemeinschaft, die zusammenhält, auch wenn jeder sein Päckchen zu tragen hat. Emilio Estévez („Bobby“) inszeniert einen zu Herzen gehenden Selbstfindungstrip, auf dem nicht nur gescheiterte Vater/Sohn-Beziehungen ausgehandelt werden, sondern auch die Sinnsuche selbst, allerdings mit viel Humor.
Spätestens nach Hape Kerkelings Bestseller über seine Pilgerreise nach Santiago de Compostela ist die gut 800 km lange Route, beginnend von den Pyrenäen bis zum (angeblichen) Grab des Apostels Jakobus in Galicien wieder recht populär geworden.
In Emilio Estévez neuem Film ist es zunächst eine unfreiwillige und schmerzhafte Reise für den affektflachen, grantigen Tom Avery (Martin Sheen), einem verwitweten Augenarzt aus Kalifornien. Beim Golfen erreicht ihn telefonisch die Nachricht vom Tod seines rebellischen Sohnes, der kurz zuvor angekündigt hatte, seine universitäre Karriere zu beenden und stattdessen die Welt sehen zu wollen. Man trennt sich im Streit und nun muss sich der verbitterte Tom auf den Weg nach Südfrankreich machen, denn Daniel ist auf der ersten Strecke des Jakobswegs in den nebligen Bergen verunglückt. Hilflos nimmt er den Leichnam dort zusammen mit der verbliebenen Wanderausrüstung in Empfang und trifft schließlich eine folgenreiche Entscheidung: Er will den Weg seines Sohnes quasi in dessen Schuhen zu Ende gehen. Doch eine Pilgerreise ist keine Kaffeefahrt – lange Märsche, überfüllte Schlafsäle und anstrengende Weggefährten strapazieren die Nerven des verstockten Amerikaners, der sich in den Kopf gesetzt hat, die Asche seines Sohnes auf dem Weg zu verstreuen. Trotz allen hartnäckigen Versuchen sich von seinen Mitmenschen zu isolieren, wird Tom mit einer Fülle an chaotischen und extrovertierten Charakteren konfrontiert, denen er sich nicht entziehen kann. Da wäre der übergewichtige Holländer Joost, der eigentlich nur abnehmen will, damit seine Frau wieder mit ihm schläft und sämtliche Reisende mit Pillen und Marihuana versorgen will, die biestige Kanadierin Sarah (Deborah Kara Unger), deren erklärtes Ziel es ist, mit dem Rauchen aufzuhören und vielleicht wieder beziehungsfähig zu werden und schließlich der durchgeknallte irische Romanautor Jack (James Nesbitt), dessen Schreibblockade sich einfach nicht legen will, bis er von Toms Tragödie erfährt.
Ähnlich seinem gelungenen Stimmungsbild der 68er am Abend vor dem Attentat auf Robert F. Kennedy („Bobby“) nimmt sich Estevez viel Zeit für die fragmentarische Entfaltung seiner Charaktere. Besonders gelungen ist ihm dabei die Verknüpfung von tragischen und humorvollen Momenten – die Schwere des Haupterzählstrangs um den verstorbenen Sohn, den der Vater zu Grabe tragen muss, wird durch jede Menge sympathische Weggefährten aufgelockert, von denen natürlich auch jeder mit seiner eigenen Last zu kämpfen hat. So kommt es in der wunderbaren Kulisse des rauhen Nordspaniens zu einer Gemeinschaft wider Willen, die schließlich ermöglicht, was sich insgeheim jeder von solch einer Reise erhofft: Selbstfindung, Akzeptanz und Vergebung. Dass Hauptdarsteller Martin Sheen („Apocalypse Now“) auch im wahren Leben der Vater des Regisseurs und Filmsohnes Emilio Estévez ist, lässt ein wenig schmunzeln. Viel hatte man gehört über die komplizierte Beziehung zwischen ihm, seinem Bruder Charlie Sheen und dem charismatischen Vater, der ebenfalls einige Skandale hinter sich hat. Die gemeinsame Rückkehr zu den eigenen spanischen Wurzeln (Sheens bürgerlicher Name ist Ramón Estévez) könnte auch für die Filmschaffenden eine bereichernde Erfahrung gewesen sein. Für die Zuschauer ist sie das auf jeden Fall.
(Silvia Bahl - biograph)