Den Menschen so fern
Frankreich 2014, Laufzeit: 101 Min., FSK 12
Regie: David Oelhoffen
Darsteller: Viggo Mortensen, Reda Kateb, Vincent Martin
Frei nach der Kurzgeschichte "Der Gast" des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus erzählt David Oelhoffen in seinem unkonventionellen Western die Geschichte von zwei konträren Männern, die im Angesicht der sich zusammenbrauenden Rebellion im Algerien des Jahres 1954 gemeinsam über das Atlasgebirge wandern. Eine intelligente, kinematographische Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Kulturen mit einmaliger, unterschwellig brodelnder Atmosphäre und einem brillanten Viggo Mortensen (Tödliche Versprechen) als moralisch gefestigtem Steppenwolf.
In Algerien kündigen sich 1954 drastische Umwälzungen durch Rebellionen an, deren Auswirkungen bald überall im Land deutlich spürbar werden. Mitten im eiskalten Winter wird der zurückgezogen lebende Grundschullehrer Daru (Viggo Mortensen), der selbst in Algerien zur Welt kam, aufwuchs und sich als Einheimischer betrachtet, mit den aufkommenden Unruhen konfrontiert. Eines Tages wird dem ehemaligen Kriegsveteranen ein des Mordes bezichtigter Gefangener (Reda Kateb) anvertraut, dem seine auf Blutrache eingeschworenen Häscher auf der Fährte sind. In seinem Heim sind Daru und der Beschuldigte nicht mehr sicher. Verfolgt von den rachedurstigen Reitern sieht er sich dazu gezwungen, den Gefangenen zu seiner Verurteilung in die nächstgelegene Stadt zu eskortieren. Doch der Marsch durch das Gebirge erweist sich als tückisch und ihre Verfolger sind ihnen dicht auf den Fersen.
Viggo Mortensen gehört zu der Kategorie Schauspieler, die einen Film durch ihre bloße Gegenwart veredeln. So verlieh er bereits einigen jüngeren Ablegern David Cronenbergs durch seine bloße Leinwandpräsenz das gewisse Etwas und erlangte als Star intellektuell fordernden Kinos größte Anerkennung. Mit "Den Menschen so fern" bleibt er seiner Rollenauswahl treu. Inmitten der kargen algerischen Gebirgslandschaft steht seine ärmliche Schule, an der ein einsamer Baum wächst. Dem gleich scheint auch sein Filmcharakter Daru ein Fels in der Brandung, umsäumt von antiquierten moralischen Anschauungen und stagnierender Traditionsgebundenheit. Trotz der äußeren Faktoren, die seiner bedächtigen und friedvollen Pionierarbeit entgegenwirken, bleibt er seinen Prinzipien treu ergeben, selbst dann, als er durch seinen ungebetenen Gast in eine lebensgefährliche Zwickmühle gerät. Freiwillig begibt er sich mit dem Gefangenen auf die gefährliche Reise, an deren Ende das höhere, staatliche Gericht über des Mannes Leben walten soll. Jene Wanderung schildert David Oelhoffen in zumeist langen, beschaulichen Aufnahmen und macht sich die Geräuschkulisse der felsigen Wildnis, die gelegentlich von der superben Musikuntermalung Nick Caves durchbrochen wird, zunutze. Samt der kühlen, verbildlichten Strenge gelingt es ihm ebenfalls die bei Albert Camus so signifikanten, existenzialistischen Sinnesempfindungen auf sehr gelungene Weise zu transportieren. Gegensätzlich zur Vorlage erlaubt sich der Regisseur jedoch die ein oder andere Freiheit und webt neben der ethisch-humanistischen Essenz auch vorsichtig einen gewissen, finalen Optimismus in den Subtext seiner Narration, die von Entfremdung und Aussöhnung unterschiedlicher Kulturen handelt. Sein ungewöhnlicher, minimalistischer "Western" gewann verdientermaßen den SIGNIS-Award bei den Filmfestspielen von Venedig und lässt sich durchaus als modernes Meisterwerk bezeichnen.
(Nathanael Brohammer - biograph)