Der junge Karl Marx
Frankreich, Deutschland, Belgien 2016, Laufzeit: 118 Min., FSK 6
Regie: Raoul Peck
Darsteller: August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps
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Mit zwei Filmen, die formal kaum unterschiedlicher sein könnten, war Raoul Peck ("Lumumba") prominent auf der Berlinale vertreten, dennoch verbindet beide ihr politisches Engagement: "I Am Not Your Negro", ein derzeit auch Oscar-nominierter dokumentarischer Essay über James Baldwins Vermächtnis und Aktualität , sowie der opulente Historienfilm über Marx Anfänge konzentrieren revolutionäre Energie auf ihre je eigene Weise. Und beide verweigern sich dem klassischen Biopic zugunsten eines notwendigen Insistierens auf soziale Gerechtigkeit.
Die sich einstellende gespentische Brisanz, wenn Peck in seinem Dokumentarfilm Archivmaterial der Segregation in den fünfziger Jahren der USA gegen die aktuellen Bilder der Polizeigewalt in Ferguson schneidet, findet sich etwas impliziter ebenso in seiner Relektüre von Karl Marx. Das Europa um 1840 gleicht fühlbar einem Pulverfass - technologische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen führen zu neuen Krisen ebenso wie sie alte Hierarchien plötzlich in Frage stellen. Und dennoch ist "Der junge Karl Marx" ein ganz entschieden europäischer Film, gedreht und produziert in mehreren Sprachen und Ländern, das kosmopolitische Denken seiner Hauptfiguren nachzeichnend.
Gemeinsam mit dem französischen Drehbuchautor und Regisseur Pascal Bonitzer verfasste Peck das Drehbuch, mit dem Anliegen, einem größeren Publikum seine Faszination für den revolutionären Denker nahe zu bringen, ohne daraus eine Theorie-Exegese zu machen, einer neuen Generation die Auseinandersetzung mit ihm nahe zu legen, da es zur Zeit fühlbar an jungen, sozial engagierten Bewegungen fehlt.
Peck fokussiert sich auf das dynamische Dreiergespann um das junge Ehepaar Marx sowie deren Freundschaft zu Friedrich Engels, der durch seine Erfahrungen in den englischen Textilfabriken seines Unternehmer-Vaters wichtige Impulse zu geben vermag.
Aus Deutschland ins Exil getrieben, ringt der junge Karl mit dem Verfassen seiner Schriften und immer wieder mit den restriktiven Behörden, seine Frau Jenny mit dem Unverständnis ihrer aristokratischen Familie. In vielerlei Hinsicht porträtiert der Film auf gelungene Weise einen Generationenkonflikt, den er auf gesellschaftliche Zusammenhänge überträgt. Der Verzicht auf jede avantgardistische Form zugunsten eines bemühten filmischen Realismus mag angesichts des Themas, und gerade im Vergleich zu Pecks anderem Film, etwas überraschen – den Vorwurf eines konventionellen Historiendramas muss er sich jedoch nicht gefallen lassen, denn ein Spannungsbogen, der sich letztlich nur auf das gemeinsame Verfassen des Kommunistischen Manifests konzentriert, kann wohl kaum als kommerzielle Anbiederung verstanden werden.
Peck ist sich durchaus der schrecklichen Konsequenzen bewusst, welche der Kommunismus in seiner politischen Instrumentalisierung später in und außerhalb Europas zur Folge hatte, plädiert jedoch auf gelungene Weise dafür, die emanzipatorische und intellektuelle Sprengkraft Marx' Denkens anzuerkennen und weiter mit ihm zu arbeiten. Die Fragen und Probleme mit denen er sich vor fast zweihundert Jahren auseinandergesetzt hat, dies macht der Film deutlich, sind noch immer dieselben – und angesichts der momentan auf globaler Ebene erlebten Krisen, dringlicher den je.
(Silvia Bahl)