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Der neunte Tag
Deutschland/Luxemburg 2004, Laufzeit: 97 Min., FSK 12
Regie: Volker Schlöndorff
Darsteller: Ulrich Matthes, August Diehl, Germain Wagner, Bibiana Beglau, Jean-Paul Raths, Ivan Jirik, Karel Hromadka, Hilmar Thate, Michael König, André Jung

Zur Zeit scheint der deutsche Film wieder vermehrt die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu suchen. Im Sinne einer Vergangenheitsbewältigung funktionieren dabei nur wenige Beiträge. Während "Der Untergang" sowohl großes Kino sein will, als auch die historische Wahrheit für sich beansprucht und damit letztendlich nur banal und überflüssig ist, erzählt Volker Schlöndorff in seinem neuen Film "Der neunte Tag" frei nach einer wahren Begebenheit die Geschichte des in Dachau internierten luxemburgischen Priester Henri Kremer dem das Unglaubliche widerfährt: Er erhält Urlaub vom KZ. Neun Tage hat Kremer Zeit, angeblich um seine Mutter zu beerdigen. Die wahren Gründe sehen jedoch ganz anders aus. Tatsächlich soll er nämlich seinen Bischof überreden, mit den Nazis zu kollaborieren. Jeden Tag muss er sich beim jungen Gestapo-Chef Gebhardt melden, der ihn versucht zu manipulieren. Sollte er fliehen, werden seine Mithäftlinge in Dachau hingerichtet und seine Familie verhaftet. Henri muss eine Entscheidung treffen, die sein Gewissen auf eine harte Probe stellt. Der Beginn von "Der neunte Tag" ist starker Tobak, führt er doch den Zuschauer direkt ins Konzentrationslager Dachau und zeigt in eindringlichen Bildern den Schrecken eines solchen Ortes. Nach diesem bedrückenden Auftakt ist der Film dann weitestgehend ein Kammerspiel. Die faszinierenden Rededuelle zwischen dem Priester Kremer und dem jungen und ehrgeizigen Gestapo-Chef Gebhardt geraten zum moralischen Diskurs. Gebhardt versucht Kremer auf seine Seite zu ziehen, und erweist sich als theologisch gebildet, wollte er doch selbst einmal Priester werden, entschied sich dann aber für die dunkle Seite der Macht. Ein Judas, der versucht sein Tun im Sinne einer höheren Ordnung zu rechtfertigen, um dann seinem Gegenüber mit allen Mitteln einen Judasdienst abzuverlangen. Dafür nutzt er den durch die schrecklichen Erfahrungen in Dachau geschwächten Glauben von Kremer, denn dessen Erfahrungen an einem Ort, "der von Gott verlassen wurde", haben Wunden und Selbstzweifel hinterlassen. Volker Schlöndorff erzählt mit "Der neunte Tag" die Geschichte vom stillen Helden, der sich verweigert und hat damit ein moralisches Drama geschaffen, das seine Szenerie nicht als sentimentales "Geschichtsbuchkino" ausbeutet. Vielleicht sind es gerade die leisen Töne, die der Darstellung des eigentlich nicht darstellbaren Grauens gerecht werden. Die quälenden Dissonanzen des Soundtracks, der aus Ausschnitten des "Concerto Grosso Nr.1" des der russischen Avantgarde zugehörigen Komponisten Alfred Schnittke besteht. Auch die Darstellung des Henri Kremers durch den großartigen Ulrich Matthes ist zurückhaltend und trotzdem eindringlich. Anders als seine Darstellung des Goebbels in "Der Untergang", die ausschließlich auf seine auffällige Physis setzt, kann er hier als Schauspieler brillieren. Wie gut, dass ihm mit August Diehl als jungen Gestapo-Chef Gebhardt ein starker Partner zur Seite gestellt wurde. So entwickelt Schlöndorff in "Der neunte Tag" das Spannungspotential vor allem aus der Konfrontation zweier Glauben und stellt über den theologischen Disput und dessen politischer Tragweite das konkrete private Dilemma, eine Entscheidung nach eigenem Gewissen treffen zu müssen.

(Eric Horst, playtime by biograph)

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