Der seidene Faden
USA 2017, Laufzeit: 131 Min., FSK 6
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville
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Eine andere Art von Dreiecksgeschichte
Raspa (392), 16.03.2018
In der Tat, das ist schon ein seltsames Personaldreieck, das uns hier begegnet: Der geniale Modemacher Woodcock, der in seiner maßlosen Art, seine Kunst über alle menschlichen Bedürfnisse seiner Umwelt zu stellen, in gewisser Weise an Thomas Mann erinnert, den ja auch niemand beim Schreiben stören durfte und der selbst am Strand immer formvollendet gekleidet war. Dessen Aversion gegen die großzügige Gönnerin Agnes Meyer in den Jahren seiner Emigration ähnelt zudem dem Verdruss, den Woodcock gegenüber einer reichen Sponsorin empfindet, die er als des von ihm für sie geschaffenen Kleides nicht als würdig empfindet. Und genauso wie Th. Mann in seiner Frau Katja eine Zerbera hatte, die ihm, dem großen Künstler, bedingungslos den Rücken frei hielt, so hat Woodcock diese Stütze in seiner Schwester Cyril, eisig gespielt von Lesley Manville. Sie erinnert in ihrer strengen Loyalität ein wenig an die furchtbare Schwiegermutter in Hitchcocks "Rebecca". Und schließlich die noch wenig bekannte Vicky Krieps, ene Luxemburger Schauspielerin ( die ihren Part auch selbst ins Deutsche und ins Französische synchronisierte ), und die die Alma sehr überzeugend verkörpert. Woodcock trifft sie als Kellnerin bei einem Frühstück , wo sie ihn mit ihrer Natürlichkeit für sich einnimmt. Verliebt er sich wirklich in sie? Da wäre ich skeptisch. Es wirkt eher so, als bräuchte er eine neue Muse, nachdem die vorhergehende entlassen wurde, da sie dem Hausherrn zunehmend auf die Nerven ging. Alma ist aber nicht bereit, sich völlig den Launen ihres Gebieters zu unterwerfen, und wie sie die Herrschaftsverhältnisse allmählich umkehrt, das ist der eigentliche Clou in einem sonst eher handlungsarmen Film. Um so mehr muss man dagegen die dichte Atmosphäre und die wunderbare Kameraarbeit loben, die den eigentlichen Wert dieses Werkes ausmachen. Eine unbedingte Empfehlung also für alle, die sich gerne einmal auf ungewöhnliches Kino einlassen.
Stich um Stich
woelffchen (597), 05.02.2018
Wie ein Kleid so nach und nach in einer traditionellen Schneiderei in Handarbeit hergestellt wrd, so entwickelt sich diese „Liebesgeschichte“ – vom ersten Verliebtsein bis zur vollendeten Liebe oder zum Liebesdrama – je nachdem. Fazit: Ein außerordentlich komplexes Geschehen, was Paul Thomas Anderson („Magnolia“ u.a.) hier in über 2 Stunden auf die Kinoleinwand zaubert. Sehr empfehlenswert, auch wenn es ohne „action“ realisiert wird.
"Der Tee geht raus, aber die Störung, die bleibt..."
Matt513 (266), 04.02.2018
Nur wenig effektiver hätte Anderson seine Hauptfigur Reynods einführen können, als bei der pingeligen Morgentoilette. Da fügt es sich nett, daß jene von Day-Lewis gemimt wird, der für penibelste Vorbereitung seiner Rollen bis zum Character-acting am Set bekannt ist. Das Sujet klingt trivial, die Geschichte handelt vom Sich-verlieren in der Liebe. Aber *wie* Anderson sie erzählt, das ist einfach großartig. Mit ganz sparsamer, aber höchst gekonnter Mimik erzählen Andersons Charaktere mehr über sich wie über die gesellschaftlichen Umgangsformen jener Epoche, als wortreiche Dialoge es vermocht hätten. Ein Qualitätsmerkmal der Arbeit des Regisseurs mit seinen Darstellern. Ein paar Einstellungen sind Kubrick entliehen; das bloß mal am Rande. Gefallen konnte auch der Score, der, obschon klassisch, den Film an manchen Stellen wie ein Pulsschlag vorantreibt.
Reynolds, im Beruf ein Charmeur im Umgang mit seinen vermögenden Kundinnen, erweist sich im Alltag als undiplomatischer Pedant. Herrlich die Dialogeinfälle, da scheint Anderson von Loriot, Gott hab ihn selig, geküßt gewesen. Almas Stärke ist, daß ihr Blick auf Mitmenschen durch keinerlei gesellschaftliche Etikette verstellt ist. Vielmehr entlarvt ihre bisweilen herrlich direkte Art ebenjene als eitel und oberflächlich. Hier wäre eine fürchterlich schmalzige Geschichte denkbar gewesen, in welcher z.B. zwei unterschiedliche Seelen sich am Ende doch kriegen o.ä. Aber Andersons Verdienst ist, daß er seine Hauptfiguren auf höchst unvorhergesehene Weise einander ausliefert, der Liebe zwischen Menschen (bekannt und auserzählt, wie es scheint) neue Facetten hinzufügt, was bis zum Schluß eine Entwicklung in viele Richtungen; Drama, Tragödie usw. offenhält. Handwerklich ist der Film ein Genuß. Zu Day-Lewis, über jeden Zweifel erhaben, muß nichts mehr geschrieben werden. Daneben überzeugt Manville mit obigem, zurückgenommenen Ausdruck, ein profundes Abbild britischen Unterstatements.