Ginger & Rosa
GB, Dänemark, Kanada, Kroatien 2012, Laufzeit: 90 Min., FSK 12
Regie: Sally Potter
Darsteller: Elle Fanning, Alice Englert, Christina Hendricks, Annette Bening, Alessandro Nivola
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Die „Swinging Sixties“ in London markieren eine gesellschaftliche Bruchstelle zwischen einer von Entbehrungen gezeichneten Nachkriegsgesellschaft und der Vision einer Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen sowie dem Wunsch nach einem globalen Frieden. Intensiv in ihren Bildern und großartig gespielt von der fragilen Hauptdarstellerin Elle Fanning („Somewhere“) erzählt Sally Potter dies anhand der Geschichte einer Freundschaft zweier Mädchen, welche diese Widersprüche in sich selbst verhandeln müssen.
Ginger (Elle Fanning) und Rosa (Alice Englert) sind seit ihrer Geburt im benachbarten Krankenbett während des zweiten Weltkrieges unzertrennlich – die trotzige Rebellion gegen das Elternhaus schweißt die beiden erst recht zusammen; Rosas alleinerziehende Mutter Anoushka wird in ihrer Unemanzipiertheit ebenso verspottet, wie auch Gingers. Diese hat zwar noch beide Elternteile, aber der Streit zwischen ihnen eskaliert zunehmend und Mama Natalie (Christina Hendricks) schafft es trotz (oder gerade wegen) ihrer passiv-aggressiven Art nicht mehr, den freigeistigen Philosophen Roland (Alessandro Nivola) an sich zu binden. Ginger verachtet ihre Mutter, die nach der Geburt das Malen aufgab und nun für ihr verlorenes Leben ihrerseits die eigene Tochter verantwortlich macht. Da ist es natürlich leichter sich mit dem eloquenten und scheinbar souveränen Vater zu identifizieren, der politische Manifeste verfasst und von einer neuen Freiheit predigt, die den Menschen aus seinen konventionellen Fesseln befreien soll. Diese Theorien setzt Roland sehr konkret im alltäglichen Leben um, wenn er diversen Affären nachgeht, Gingers Bewunderung ist ihm dennoch sicher.
Es ist eine spannungsgeladene Zeit: 1962 spielten die Stones ihren ersten Gig, doch von einer Atmosphäre der Lebendigkeit und des Swings ist noch nichts zu spüren, es dominiert eher die Angst vor dem Tod durch eine atomare Vernichtung, welche durch die Cuba-Krise eine erschreckende Konkretheit erhält. Wie gebannt verfolgen die Mädchen die Nachrichten, doch schon bald wird klar, dass die beiden Freundinnen dabei sind, sich auseinander zu leben. Während Ginger sich mehr und mehr in ihr politisches Engagement hineinsteigert, interessiert sich die vaterlose Rosa nur noch für Jungs und die Liebe. Als sich ihre Eltern schließlich trennen, zieht Ginger zu Roland und Rosa folgt ihr – jedoch mit völlig anderen Intentionen.
Sally Potter gelingt auf sehr lyrische Weise eine Verfugung von historischer Krise mit einem persönlichen Zusammenbruch. Psychologisch sehr genau beobachtet, entwickelt sie ein
berührendes und intimes Szenario, das mit einem großartigen Ensemble überzeugt. Christina Hendricks, bekannt aus „Mad Men“ und „Drive“, verkörpert gekonnt eine Figur des weiblichen Scheiterns, ebenso wie die 13jährige Elle Fanning erstaunliche Reife und Verletzbarkeit beweist. Doch das größere Versagen stellt im Grunde Alessandro Nivola als scheinbarer Freigeist Roland dar: Gingers richtiger Name, den er ihr bei der Geburt gab, lautet Afrika – nach Sigmund Freud der dunkle Kontinent, konnotiert mit dem Weiblichen, das durch den (weißen) Mann kolonialisiert und unterworfen wird. So offenbart sich schon bald die schwere Verantwortungslosigkeit gegenüber allen Protagonistinnen, die er im Namen der scheinbaren Selbstbestimmung und Freiheit verübt und die sich als ebenso gewaltsam und patriarchal erweist, wie die Handlungen der atomaren Supermächte, die kurz davor standen, für die Durchsetzung ihrer Prinzipien die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen.
(Silvia Bahl - biograph)