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Holy Motors

Holy Motors
F 2012, Laufzeit: 115 Min., FSK 16
Regie: Léos Carax
Darsteller: Denis Lavant, Kylie Minogue, Edith Scob, Eva Mendes, Elise Lhomeau, Michel Piccoli
>> www.holy-motors.de

Der heimliche Favorit und Kritikerliebling der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes ist zugleich einer der ungewöhnlichsten Filme des Jahres: Das Regie-Enfant terrible Leos Carax („Die Liebenden von Pont Neuf“, „Pola X“) lässt Eva Mendes und Sängerin Kylie Minogue in einer kafkaesken Odyssee durch Paris touren, die an Werke von Lynch oder Jodorowsky erinnert und sich mit einer Fülle an Referenzen auf Kunst, Literatur und Filmgeschichte zu einem rätselhaften wie faszinierenden Meisterwerk verbindet.

Sind wir noch wach oder träumen wir schon? Der Auftakt von „Holy Motors“ zeigt die Totale eines mit erstarrten Kinozuschauern gefüllten Saales im Dunkeln, die Leinwand wird für uns zum Spiegel. In einem Hotelzimmer erwacht ein Mann, den wir als Leos Carax selbst, den Regisseur, erkennen, es ist Nacht, man erblickt die Aussicht auf einen Flughafen, hört jedoch das dröhnende Geräusch ablegender Schiffe. Auf der Wand, die das Muster eines dichten Waldes trägt, wird eine geheime Tür erkennbar, Carax Finger mutiert zu einem Schlüssel. Traumwandlerisch bewegt er sich auf den fernen Kinosaal zu, während wir alle in das Geschehen auf dessen Leinwand gezogen werden. Dies nur als Vorgeschmack, auf das was noch folgen wird. Die Rahmenhandlung, insofern man sie überhaupt ausmachen kann, bildet der Tagesablauf eines mysteriösen Mannes, genannt Monsieur Oscar und verkörpert von Carax‘ favorisiertem und äußerst charismatischen Schauspieler Denis Lavent.

Er wird von einer älteren, aparten Blondine durch die Stadt gefahren, um eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, deren Sinn und Zweck sich nie ganz erschließt, die man allerdings sehr schön mit folgenden Worten des Protagonisten zusammenfassen kann: „It’s the beauty of the act“. Nur schwer lässt sich das Geschehen auf der Leinwand in Worte fassen, doch schon bald wird klar, dass es um die Liebe zum Kino geht, Carax inszeniert eine Ode an das Schöpferische an sich, an die Lust, Geschichten zu erfinden und zu erzählen. Monsieur Oscar schlüpft mit jeder Aufgabe in eine andere Rolle, verkleidet sich als alte Frau und bettelt, als hässlicher Satyr, der die schöne Eva Mendes entführt und aus ihrem goldenen Kleid eine Burka schneidert, wird Banker oder Auftragsmörder, Familienvater oder Todkranker. Zwischen die Episoden schneidet Carax die ersten Bewegtbildaufnahmen überhaupt, von Kamera-Pionieren wie Edward Muybridge, es finden sich Anspielungen auf bildende Kunst, Literatur und Filmgeschichte, aus denen sich ein postmodernes Pastiche, eine faszinierende Ansammlung von Zitaten und Referenzen ergibt.

Gleichzeitig philosophiert Carax über einen radikalen Zeitenwechsel: Die „heiligen Motoren“, die man auch als Filmprojektoren denken könnte, sowie die meisten analogen, großen Maschinen liegen im Sterben, stabile Konzepte von Identität, Geschlecht und Ursprung werden im digitalen Zeitalter ungewiss. Wie eine Parabel auf das Virtuelle lässt sich „Holy Motors“ lesen, reflektiert Carax doch mit Wehmut das Verschwinden des Greifbaren, ebenso wie er die schöpferischen Möglichkeiten der neuen Zeit zelebriert. Carax kreiert einen surrealen Bilderstrom, in dem man nicht alles verstehen muss, über den man aber sicherlich viel diskutieren kann. Selten erlebt man im zeitgenössischen Kino einen derartigen gestalterischen Wagemut und eine so gelungene und faszinierende Suche nach einer neuen Filmsprache.

(Silvia Bahl - biograph)

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