Ihr werdet euch noch wundern
Frankreich 2011, Laufzeit: 115 Min., FSK 0
Regie: Alain Resnais
Darsteller: Mathieu Amalric, Pierre Arditi, Sabine Azéma, Jean-Noël Brouté, Denis Podalydès, Anne Consigny, Anny Duperey, Hippolyte Girardot, Michel Piccoli
Der neue und angeblich letzte Film des inzwischen 90-jährigen Regisseurs Alain Resnais versammelt wieder einmal seine Lieblingsdarsteller inklusive seiner Ehefrau und Muse Sabine Azema zu einem Stück über Liebe, Tod und die Liebe nach dem Tod. Er basiert auf dem Stück „Eurydice“ des Autors Jean Anouilh aus dem Jahre 1941 und ist Augenschmaus und intellektuelle Herausforderung zugleich.
Der berühmte Regisseur Antoine d’Anthac ist verstorben. Posthum erhält eine Gruppe seiner Freunde – allesamt berühmte Schauspieler - einen Anruf von dessen Butler. Er bittet sie, auf das riesige Landgut des Verstorbenen zu kommen und dort gemeinsam ein Video zu sichten mit Ausschnitten einer Inszenierung des Stückes „Eurydice“ durch die junge Truppe „La compagnie de la Colombe“. Die Freunde sollen dann entscheiden, ob diese Neuversion aufführungswürdig sei. Der Theater-Nachwuchs war kurz vor seinem Ableben an ihn herangetreten und hatte um Aufführungsrechte gebeten.
Die Eingeladenen wundern sich bald nicht mehr über das ungewöhnliche Arrangement, denn wer, wenn nicht sie, sind prädestiniert, diese Entscheidung zu treffen. Alle haben das Stück „Eurydice“ schon selbst unter Anthacs Regie - in unterschiedlichen Versionen - gespielt, und bald verfolgt die kleine Schar die einzelnen Szenen auf einem großen schwarzen Sofa im riesigen Hauptsaal des Schlösschens sitzend, mit großem Interesse. Bald sprechen sie „ihre“ Zeilen mit, erinnern sich an alte Zeiten, diskutieren miteinander, stehen auf, um einzelne Szenen nachzuspielen, und finden sich schließlich in einer ganz eigenen Aufführung in unterschiedlichen Sets wieder - einem Bahnhofsrestaurant und einem billigen Hotelzimmer. Antoines Haus wird zu einer riesigen Bühne.
Ein Film mit absurdem Humor, der den Dialog zwischen Theater und Film, Fiktion und Realität sowie Vergangenheit und Moderne spiegelt und auch vielfache Bezüge zu Resnais’ bisherigem Werk sowie französischen Klassikern nimmt - von Marcel Camus’ „Orfeu Negro“ über Jean Cocteaus „Orphée“ bis hin zu Werken von Jean Renoir und Alain Robbe-Grillet. Zudem nutzt Resnais alle dem Film und Theater zur Verfügung stehenden Mittel. Immer wieder werden die Paarungen und Kulissen bei den als Orpheus und Eurydice agierenden Schauspielern gewechselt, auch Split-Screen kommt zum Zuge. Die Gefahr, dass die permanent zwischen Film und Theaterstück hin und her springende, intellektuell verschachtelte Inszenierung, zu sehr verwirrt, ist zwar nicht ganz von der Hand zu weisen, wird aber durch zahlreiche poetische und auch witzige Elemente, eine illustre und spielfreudige Schauspielerriege und phantasievolle Settings aufgefangen.
Meisterhaft versteht es der Altmeister, ein Vexierspiel der Gegensätze zu schaffen, in der Retrospektive und Prospektive, Tradition und Moderne, die Schauspieler und ihre Rollen in kunstvollen Dialogen und visuell anregend aufeinanderprallen - gespiegelt am mythologischen Thema des scheiternden Liebespaares Orpheus und Eurydice.
In jedem Fall ist Resnais’ Alterswerk eine intellektuelle und filmhistorische Herausforderung, der es sich zu stellen lohnt.
(Anne Wotschke - biograph)