Junges Licht
Deutschland 2016, Laufzeit: 122 Min., FSK 12
Regie: Adolf Winkelmann
Darsteller: Charly Hübner, Oscar Brose, Peter Lohmeyer
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Ein Sommer in den 60ern im Ruhrgebiet: Der Krieg ist vorbei, die gesamte Republik wieder aus Schutt und Asche aufgebaut und das Wirtschaftswunder in vollem Gange. Mit sensiblem, ästhetischem Gespür erzählt Adolf Winkelmann mit der ihm eigenen Handschrift von einem zwölfjährigen Jungen, der unter dem Moloch des Kohlekraftwerks aufwächst und neben seinen Träumereien erstmalig mit Sex, Gewalt, Tod und Schuld konfrontiert wird. Der authentische Blick in die schmutzige Welt der Bergarbeit basiert auf dem poetischen gleichnamigen Roman von Ralf Rothmann, der nach Sichtung dieser Verfilmung begeistert statuierte: "Winkelmann hat ein eigenständiges Kunstwerk geschaffen - ein Meisterwerk mit dem Zeug zum Klassiker!"
Die riesigen Kraftwerke, die den Horizont einnehmen und wenig Raum für Perspektiven oder Eskapismus lassen, erheben sich aus den Gefilden des Ruhrgebiets. In dem naheliegenden Bergarbeiterkaff flaniert der zwölfjährige Julian (Oscar Brose) durch die Straßen und Gässchen, stets auf der Flucht vor dem Holzlöffel seiner haltlosen Mutter (Lina Beckmann) oder dem Stecken des rüden Lehrers. Derweil sich andere Altersgenossen ihre Zeit mit dem Durchblättern von Pornoheftchen, fieser Tierquälerei und anderen Obszönitäten beschäftigen, kümmert sich das Sensibelchen rührend um die kleine Schwester und schaut bewundernd zu seinem proletarischen Vater (Charly Hübner) auf, der regelmäßig unter Erde malocht. Neugierig beobachtet er den nach strengen Mechanismen funktionierenden Kosmos um sich herum, fotografiert heimlich mit einer vom etwas zu zutraulichen Hausmeister geliehenen Kamera die frühreife Nachbarstochter Marusha und fasziniert sich für Dinge, die seinem Umfeld gewöhnlich verborgen bleiben. Als sich die latent eingebrachte erotische Spannung an einem flirrenden Sommertag entlädt, wird sein Leben jedoch urplötzlich auf den Kopf gestellt. Julian packt seine sieben Sachen und reißt von Zuhause aus.
Sicherlich spielte auch eine persönliche, nostalgische Motivation eine Rolle bei der Auswahl dieses Ausgangsstoffes für seinen neuen Film. Adolf Winkelmann, der Ende der 60er Jahre zu einem der Protagonisten des europäischen Experimentalfilms avancierte, wuchs selbst im Ruhrgebiet zwischen "Kohle und Stahl" auf, bis er zunächst sein Kunststudium in Kassel absolvierte und ab den 70ern mit "Die Abfahrer" den ersten Teil seiner Ruhrgebietstrilogie realisierte. Auch für dieses eindringliche Sittenbild findet er prägnante Bilder, die stets zwischen Schwarz-Weiß und Farbe pendeln. Der hintergründige Sinn dieses stetigen Farbwechsels erschließt sich zwar nicht gänzlich, doch lässt man sich auf den Eigenwert jenes stilistischen Effektes ein, wird gemeinsam mit dem heiter-unbeschwerten Soundtrack eine ganz eigene, markante Stimmung generiert. Sehr einfühlsam sind die kongenialen Sequenzen zwischen Vater und Sohn, beispielsweise wenn sie gemeinsam auf dem Balkon hocken, Butterbrote mampfen und von den dampfenden Schwaden der monströsen Fabrik eingemummt werden. Hier erzählt der junge Julian von seinen späteren Träumen, die dann doch ernüchternd bescheiden ausfallen und zugleich eine gewisse Aversion gegen die Grobschlächtigkeit des Drumherum, welches unfähig erscheint, zartere Naturen gelten zu lassen, beim Zuschauer erweckt. Neben dem großartig spielenden Charly Hübner ist die wahrhaftigste Entdeckung der natürlich und unschuldig agierende Newcomer Oscar Brose in der tragenden Hauptrolle.
(NATHANAEL BROHAMMER)