Keine Sorge, mir geht´s gut
Frankreich 2006, Laufzeit: 96 Min., FSK 6
Regie: Philippe Lioret
Darsteller: Melanie Laurent, Kad Merad, Isabelle Renauld, Julien Boisselier, Aïssa Maïga, Simon Buret
Auf den ersten Blick wirken die Telliers wie eine gewöhnliche Mittelstandsfamilie aus Frankreich. Ein gemütliches Reihenhaus in der Vorstadt, zwei Kinder und Oberhaupt Paul hat einen soliden, gut bezahlten Job. Hinter den Kulissen der Idylle jedoch liegt ein Geheimnis verborgen, das alle Familienmitglieder auf ihre Weise straucheln lässt. Nach die "Frau des Leuchtturmwärters" überrascht Regisseur Loiret erneut mit einer brillant erzählten Geschichte, die treffend im Ton emotional zu packen vermag. Erholt und gut gelaunt kehrt Lili (Mélanie Laurent) aus den Sommerferien zurück. Schnell jedoch verfliegt ihre Fröhlichkeit, denn die betont normale Stimmung ihrer Eltern lässt erahnen, dass etwas nicht stimmt im heimischen Idyll. Die Mutter (Isabelle Renauld) eröffnet ihr, dass Zwillingsbruder Loic aufgrund eines heftigen Streits mit dem Vater (Kad Merad) seine Sachen gepackt hat und seit einigen Tagen verschwunden ist. Wochen vergehen ohne ein Lebenszeichen von Loic und Lili macht sich mehr und mehr Sorgen, denn dieses Verhalten passt so gar nicht zu ihm. Die Ungewissheit und das angestrengte Aufrechterhalten von Normalität seitens ihrer Eltern zehren so sehr an Lili, dass sie schließlich ins Krankenhaus muss, um wieder zu Kräften zu kommen. Dann, nach Monaten, erhält sie überraschend eine Ansichtskarte von ihrem Bruder, bald darauf folgen nach und nach weitere. Also begibt sich Lili auf die Suche nach dem verschwundenen Bruder und kommt dabei einem Familiengeheimnis auf die Spur...Diese recht simpel erscheinende Story hat weit mehr zu bieten als der erste Eindruck zunächst vermittelt. Die Spannung um das Geheimnis des verschwundenen Bruders steigt mit jeder Filmminute. Zum einen stellt sich zwingend die Frage, was wirklich vorgefallen ist, denn das ausweichende Verhalten der Eltern und die Erklärung, ein einfacher Streit sei der Ausgangspunkt gewesen, mag der Zuschauer ebenso wenig glaubwürdig finden, wie die Protagonistin selbst. Zum anderen steigert sich aber auch das Interesse an der Person Loic selbst, denn lediglich die Briefe und einige Tonbandaufnahmen zeugen bislang von dessen Existenz. So wird aus einem eher klassischen Drama ein Gefühlsthriller, der den Zuschauer durch überraschende Wendungen in Atem hält. Loiret verzichtet dabei bewusst auf effekthaschende Momente, vielmehr bringt er ganz allmählich die Fassaden zum bröckeln und lässt seine Charaktere einen regelrechten Seelenstriptease hinlegen. Mit meisterhafter Verknappung der filmischen Mittel, exzellenten Schauspielern und grandiosen Nahaufnahmen der Figuren wird die Spannung immer mehr auf die Spitze getrieben. Gleichwohl gelingt es dem Regisseur inmitten der Geschichte treffend die französische Mittelschicht gesellschaftskritisch ins Bild zu rücken. "Keine Sorge mir geht's gut" ist ein Film von existenzialistischer Kraft und bestechender Einfachheit. Zentrale Themen sind Zusammenhalt, Vertrauen, Schutz und Intimität innerhalb der Familie, verpackt in eine psychologisch spannende Geschichte. Von den Kritiker auf den Hofer Filmtagen hoch gelobt und von den Zuschauer in Frankreich mit Begeisterung aufgenommen, wird dieser Film sicher auch hierzulande seine Kreise ziehen und so manchen Zuschauer gebannt in den Kinosessel pressen. Absolut sehenswert!
(Mathias Bornemann, playtime by biograph)