L'esquive
Frankreich 2003, Laufzeit: 117 Min.
Regie: Abdel Kechiche
Darsteller: Osman Elkharraz, Sara Forestier, Sabrina Ouazani, Nanou Benahmou, Hafet Ben-Ahmed, Aurélie Ganito, Carole Franck, Hajar Hamlili, Rachid Hami, Meriem Serbah
Krakeelend im Elend
juggernaut (162), 01.06.2005
Hier gibt?s was auf die Ohren. Während die Jungs manchmal bis zur Unverständlichkeit nuscheln, schreien die Mädels sich vorzugsweise an. Gegen die in den höchsten und schrillsten Tönen durch- und aufeinander los krakeelenden Jugendlichen in einer tristen Pariser Vorstadt ist die Los-wir-reden-jetzt-alle-gleichzeitig-Runde bei Christiansen ein gesittetes Kaffeekränzchen. Und für einen gerade noch Enddreißiger wie mich stellt es mittlerweile eine regelrechte physische Anstrengung dar, mir minutenlanges ununterbrochenes Keifen auf Französisch anzuhören und dabei gleichzeitig auf die Untertitel achten zu müssen. Denn die sind einfach nötig, obwohl ihr voll-fett-krass-Deutsch manchmal ziemlich hilflos und deplatziert wirkt. Aber es ist vermutlich die einzig mögliche Art der Übertragung ins Deutsche ? wie ein Ausflug in irgendeinen ?sozialen Brennpunkt? hier zu Lande wohl eindrucksvoll untermauern würde. Ich habe jedenfalls keinen Zweifel daran, dass der Sound der Jugend, den uns die bemerkenswert talentierten Akteure und Akteurinnen hier in ?L?esquive? vorführen, authentisch ist. Dass sie aber auch etwas anderes können als Stakkato-Beschimpfungen und z.T. sogar über eine beachtliche Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, zeigen sie in den Theaterszenen, die weniger Film im Film (bzw. Theater im Film) als vielmehr vollwertiger Bestandteil des Ganzen sind. Denn auf dieser zweiten Ebene wird auf geschickte Weise mithilfe von Marivaux? Stück ?Le jeu de l?amour et du hasard? etwas über die Schwierigkeiten mit der Liebe und dem sozialen Rollenspiel mitgeteilt, mit denen sich auch die Filmfiguren im Filmleben herumschlagen müssen. Das heißt allerdings nicht, dass ich ?L?esquive? uneingeschränkt empfehlen möchte. Er ist doch, alles in allem, recht anstrengend. Insofern ist dieser Beitrag auch ein ?esquive? (Ausweichmanöver).
Gefühle zwischen Beton
mr. kurtzman (168), 26.05.2005
Verdientermaßen gewann ?L'esquive? den französischen César vor dem nicht minder starken Film ?Mathilde? von Marc Jeunet. Unglaublich was Abdel Kechiche hier 117 Minuten auf die Beine gestellt hat. So kraftvoll und realistisch habe ich kaum eine Geschichte über das Leben der Jugendlichen in Trabantenstädten gesehen. Nun würden manche vielleicht wieder sagen, ?sowas erlebe ich doch jeden Tag vor meiner Haustür? oder ?fahr' doch einfach nach Chorweiler, dann hast du dasselbe?. Im Film wird durch eine konfliktreiche Handlung auf sich glaubwürdig aufmerksam gemacht. Der Kontrast zwischen Krimo und Harlekin oder der tatsächlichen Sprache der Jugendlichen und der schwülstig-pompösen Theateraufführung ist eine tolle Idee vom Regisseur. Alle Darsteller waren sensationell gut und daher schon sehenswert.