Mademoiselle Hanna und die Kunst, Nein zu sagen
Frankreich 2015, Laufzeit: 100 Min., FSK 12
Regie: Baya Kasmi
Darsteller: Vimala Pons, Mehdi Djaadi, Agnès Jaoui
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Hanna und Hakim leben in Frankreich. Sie sind Einwanderer der zweiten Generation aus Algerien und für Geschwister so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Während Hakim das traditionelle Leben eines Muslims führt und mit Frau und Kindern noch bei seinen Eltern wohnt, lebt Hanna, 30, attraktiv und äußerst charmant, das schillernde Pariser Großstadtleben einer ungebundenen, freiheitsliebenden jungen Frau.
Das Einzige, was die beiden verbindet, ist eine seltsame Macke, unter der alle Familienmitglieder in der ein oder anderen Weise leiden: sie sind einfach zu nett, jederzeit und zu jedermann, das Wort „Nein“ scheint ihnen ein Fremdwort zu sein. Diese Eigenschaft stürzt Hanna regelmäßig in die größten inneren Konflikte, wenn sie in ihrem Job in der Personalabteilung wieder einmal einen Mitarbeiter entlassen muss. Doch Hanna wäre nicht Hanna, wenn sie sich nicht mit ihrer ganz eigenen, wenn auch sehr unkonventionellen Interpretation von „Abfindung“ zu helfen wüsste – sehr zur Freude der Entlassenen.
Soviel Selbstaufopferung imponiert dem Arzt Paul, der sich in die so lebenslustige wie komplizierte Hanna verliebt hat. Da er sie bei ihrer Freundin, einer Prostituierten kennengelernt hat, glaubt Paul, dass auch Hanna diesem Gewerbe nachgeht und stellt sie so seinem Freundeskreis vor. Auch hier kann Hanna wieder nicht „Nein“ sagen, sondern nimmt diese Vorstellung lieber als Kompliment Pauls, der sie liebt wie sie ist und sie nicht ändern will. Ganz im Gegensatz zu ihrem religiösen Bruder, der Hannas freizügigen Lebensstil verachtet und den Kontakt zu ihr längst abgebrochen hätte, stünde ihm nicht eine Nierentransplantation bevor, bei der Hanna die zurzeit einzig mögliche Spenderin ist. So werden die beiden Geschwister nach vielen Jahren der Trennung wieder miteinander konfrontiert, und in der Erinnerung an eine gemeinsame Kindheit ergründen sie ein Geheimnis, das ihnen ermöglicht, wieder zusammen zu finden.
„Die Transplantation ist für mich eine Metapher für den französischen Staat“, sagt die Regisseurin Baya Kasmi, die selbst Halbalgerierin ist. „Einwandererkinder wie im Land Geborene, wir sind alle Franzosen und bei allen Unterschieden, Vorurteilen und Missverständnissen, die unser Zusammenleben prägen, sind wir doch Teil eines und desselben Volkes. Die Regie-Debütantin hat bereits am Drehbuch zu DER NAME DER LEUTE mitgearbeitet und damit ihr Talent für die komödiantische Umsetzung gesellschaftlich relevanter Stoffe bewiesen. 2011 wurde sie dafür mit dem César ausgezeichnet. Im Zentrum stand auch damals schon eine junge, extrovertierte Halb-Algerierin, die ihre weibliche Sexualität bei der Durchsetzung ihrer politischen Interessen als wirkungsvolle Waffe einzusetzen wusste. Gemeinsam ist den beiden Filmen zudem der provokativ-satirische Blick, der auch ernste Themen mit viel Ironie und Humor behandelt und beschwingt in eine Komödie voller Esprit umsetzt, die mehr Unterschiede zwischen muslimischen Einwanderern untereinander ausmacht, als zwischen Einwanderern und Franzosen. Entstanden ist eine rasante, sensible wie auch komische Studie über eine selbstbestimmte junge Frau, die für die Freiheit und Vielfalt einer ganzen Generation steht und zwischen Familie, Herkunft und Religion ihre eigene Identität finden muss.
(Kalle Somnitz)