Mustang
Türkei, Frankreich, Deutschland 2015, Laufzeit: 97 Min., FSK 12
Regie: Deniz Gamze Ergüven
Darsteller: Günes Sensoy, Doga Zeynep Doguslu, Elit Iscan
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Ein toller Erfolg für die Düsseldorfer Filmproduktionsfirma Vistamar. Ihr berührender Film „Mustang“ über den Kampf fünf junger türkischer Frauen um Unabhängigkeit und Freiheit hat es geschafft: Er kann mit weiteren vier Werken auf den Oscar als bester fremdsprachiger Film hoffen. Zwar geht die türkisch-französisch-deutsche Koproduktion für Frankreich ins Rennen um den begehrten Goldjungen, doch die Freude hier am Rhein kann das nicht trüben. Am 25. Februar – drei Tage vor der Oscar-Verleihung - kommt „Mustang“ in unsere Kinos.
Seinen Siegeszug trat der Debütfilm der 36-jährigen Deniz Gamze Ergüven in Cannes an, wo er in der Reihe „Semaine de la Critique“ lief und große Begeisterung hervorrief. Der Film beginnt mit mit einer Szene am Meer. Fünf junge Mädchen tollen am letzten Schultag vor den Sommerferien, nachdem sie sich von ihrer Lehrerin, die nach Istanbul zieht, verabschiedet haben, mit ein paar Klassenkameraden am Strand herum. Bei einem Spiel setzen sich die Mädchen auf die Schultern der Jungs und versuchen sich gegenseitig, ins Wasser zu werfen. Was für den westlichen Zuschauer völlig normal erscheint, hat für die Mädchen fatale Folgen. Die fünf Schwestern leben nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel Erol in einem kleinen Dorf in der Türkei, wo ein strenger Sittenkodex herrscht. Ihr von einigen Dorfbewohnern beobachtetes Verhalten wird als schamlos wahrgenommen. Schnell kommen die bisher sehr liberal erzogenen Mädchen ins Gerede, und als auch noch das Gerücht auftaucht, eine von ihnen sei schwanger, ist Schluss mit ihrem unbeschwerten Leben.
Immer mehr wandelt sich das Zuhause von Lale, Nur, Ece, Selma und Sonay in eine Festung. Es beginnt mit einem Ausgehverbot. Dann wird der Schulbesuch zu Gunsten einer Einweisung in Haushalt und Küche durch ihre Großmutter gestrichen und hohe Zäune um das Wohnhaus gezogen. Mit Entsetzen stellen sie fest, dass ihr Onkel schon für die Älteste nach einem Ehemann Ausschau hält. Doch die lebenslustigen jungen Frauen wollen sich nicht in die ihnen scheinbar vorbestimmte Rolle als Hausfrau und Mutter pressen lassen und begehren auf. Fortan entbrennt ein Kampf, bei dem die Geschwister immer wieder kleine Erfolge erzielen können, aber auch Rückschläge erleiden. So gelingt es ihnen zum Beispiel einmal mit viel Raffinesse, auszubüchsen und ein öffentliches Fußballspiel zu besuchen. Dumm nur, dass die ihrem Team zujubelnden Teenager plötzlich im Fernsehen zu sehen sind, vor dem nicht nur Onkel Erol, sondern auch die halbe Nachbarschaft begeistert das Spiel verfolgt. Da hat ihre Großmutter alle Hände voll zu tun, mit geschickten Ablenkungsmanövern und einer drastischen Maßnahme, eine Katastrophe zu verhindern.
All das wird, aus der Perspektive von Lale, der Jüngsten, mit einer wunderbaren Leichtigkeit und in wunderschönen, teils sehr poetischen Bildern, erzählt. Dabei verliert die Regisseurin nie die Tragik der Situation der in patriarchalischen Strukturen gefangenen Mädchen, die schließlich nach und nach – meist gegen ihren Willen – verheiratet werden, aus dem Auge.
Gelegentlich werden Erinnerungen an Sofia Coppolas Erstlingswerk „The Virgin Suicides“ wach, doch entwickelt „Mustang“ eine ganz eigenständige Kraft, die lange nachhallt. Ein Oscar für diesen Publikums- und Kritikerliebling wäre jedenfalls mehr als verdient.
(Anne Wotschke - biograph)