Nymphomaniac 1
DK/D/F/B/GB 2013, Laufzeit: 117 Min., FSK 16
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Stacy Martin u.a.
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Das lang erwartete Erotik-Epos Lars von Triers stellt erneut unter Beweis, was hinter all den unnötigen Skandalen um seine Person unterzugehen drohte: das filmische Ausnahmetalent, das ihn zu einem der aufregendsten zeitgenössischen Regisseure Europas macht. So ist „Nymph()maniac“ keineswegs pornographisch, wie es die provokative Werbekampagne vielleicht suggerieren könnte, sondern eine äußerst poetische und intellektuelle Reflexion – nicht nur über die Problematiken unserer eigenen Geschlechtlichkeit und deren gesellschaftliche Rahmungen, sondern der Frage nach den (Un-)Möglichkeiten menschlicher Beziehungen an sich, allen voran der Liebe.
Schon der Auftakt des Films ist ein Appell an die Sinne. Eine ungewöhnlich lange Schwarzblende erinnert den Zuschauer daran, was bei allen Werken von Triers im Vordergrund steht; das Primat des Fühlens über das Sehen. Kino als intensiv-körperliche Erfahrung.
Es sind nur die sanften Geräusche des tropfenden Wassers zu hören, das wenig später visuell als geschmolzener Schnee identifiziert werden kann, der gleichmütig über die Szenerie einer freudlosen verwinkelten Gasse fällt. Lange bleibt die Kamera nah bei den Dingen, den blechernen Tonnen und Rohren, bevor sie auf den am Boden liegenden Körper einer Frau fällt, in ihrem Blut liegend, selbst verdinglicht. Ein älterer Mann entdeckt sie durch Zufall und nimmt sie zu sich nach Hause mit, da sie Polizei und ärztliche Hilfe verweigert. In seiner kleinen dunklen Wohnung entwickelt sich das Ausgangssetting des Films, das literarischer kaum sein könnte: Ein Dialog zwischen dem warmherzigen, zurückgezogenen Seligman (Stellan Skarsgård) und der verzweifelten und verletzten Joe (Charlotte Gainsbourg), der zugleich eine philosophische Grundsatzdebatte markiert.
Seligman glaubt an das Gute im Menschen, lebt wie ein Mönch in seinem Kosmos von Büchern und beschreibt sich selbst als asexuell. Seine Gesprächspartnerin hingegen ist verbittert und voller Selbsthass, hat wenig Erfahrung mit den Diskursen der Hochkultur und ist eine erklärte Nymphomanin.
In mehr oder weniger chronologischen Rückblenden teilt Joe mit dem hilfsbereiten Fremden die Geschichte ihres bewegten Lebens, unterteilt in acht einzelne Kapitel mit fantasievollen Namen, die stets durch einen Gegenstand im Raum motiviert werden, der zu Assoziationen anregt. Zu jeder ihrer Erinnerungen, hat dieser eine enzyklopädische Anekdote als Antwort parat und vergleicht Joes Sexualverhalten mal mit der Ökologie von Fischen, mal mit der melodischen Komplexität einer Bach Fuge. Dies wird so dynamisch und ausdrucksvoll durch von Triers Bildgestaltung inszeniert, dass die explizit gezeigte Sexualität eine eigentümliche Entrücktheit erfährt. Er verwendet dazu die lyrische Montage des Essayfilms, in welcher der Monolog des Erzählers durch assoziative Bildeinblendungen untermalt wird. Zudem erlaubt die Nacktheit in „Nymph()maniac“ in ihrem Naturalismus wenig erregende Projektionen seitens des Zuschauers – von Trier zeigt den menschlichen Körper sehr pragmatisch, mit seinen Haaren und Falten sowie seiner Verletzlichkeit und dem nicht ausbleibenden Verfall.
(Silvia Bahl - biograph)