One Day in Europe
Deutschland/Spanien 2004, Laufzeit: 100 Min., FSK 0
Regie: Hannes Stöhr
Darsteller: Megan Gay, Ludmila Tsvetkova, Andrei Sukow, Igor Dobri, Oleg Assadulin, Vita Saval, Nikolai Svechnikov, Erdal Yildiz, Florian Lukas, Ilke Abur Ercin, Nuray Sahin
Hannes Stöhrs ("Berlin is in Germany") neuer Film war neben "Sophie Scholl" und dem etwas kopflastigen "Gespenster" von Christian Petzold, der dritte deutsche Film im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale. Und wenn Stöhr für diese europäische Phantasie auch keinen Preis erhielt, so war er doch einer der wenigen Lichtblicke, wusste er doch mit Originalität, Einfallsreichtum und einem ausgeprägten Sinn für's Absurde sein Publikum bestens zu unterhalten. Dabei geht er der Idee des Vereinten Europas nach, doch wie man sich ein solches Europa eigentlich vorstellen soll, ist vielen unklar. Hannes Stöhrs Ansatzpunkte ist das größte gemeinsame kulturelle Ereignis, das das Leben in Moskau genauso beeinflusst wie im spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela: Das Finale der europäischen Champions League im Fußball, das er in seinem Film in Moskau zwischen Galatasaray Istanbul und Deprortivo La Coruna stattfinden lässt. Doch es geht nicht um Fußball, der bildet nur den Rahmen des Geschehens, vor dessen Hintergrund er vier Geschichten in vier Städten zur gleichen Zeit erzählt. Wenn man früher gesagt hat, dass man sich unter das Volk mischen muss, um Land und Leute kennenzulernen, so geht Stöhr auch hier eigene Wege. Alle Protagonisten, die englische Kunsthändlerin in Moskau, der deutsche Tourist in Istanbul, der ungarische Pilger in Santiago de Compostela und das französische Künstlerpärchen in Berlin lernen das jeweilige Land durch einen Gepäckdiebstahl kennen. Der führt sie jedenfalls auf die jeweilige Polizeidienststelle, die von dem gleichen lustlosen Personal bevölkert wird. Der Culture Clash beginnt schon mit dem nun folgenden Sprachenwirrwarr, man spricht "little English", versteht sich kaum, weiß sich aber zu verständigen, und bald schon wird klar, dass zu einem Diebstahlt doch mehr Personen gehören als Täter und Opfer. Mindestens Polizei und Versicherung wären da zu nennen, und Stöhr stellt dem Bild des bestohlenen Ausländers paritätisch das des betrügerischen Touristen entgegen, der den Diebstahl nur vortäuscht, um an die Tantiemen der Versicherung zu kommen.So findet Stöhr mit genauem Blick und viel Sinn für eine absurde Komik allerlei Dinge, die sich in ganz Europa ähneln. Dabei ist er der Politik schon einen Schritt voraus und lässt seinen Film unter anderem in Moskau und Istanbul spielen, ohne die er sich Europa kaum vorstellen kann. Doch seine stärkste Episode spielt in Santiago de Compostela, wo die Pilgerreise des ungarischen Geschichtslehrers endet und wo er dem Polizeibeamten alle heiligen Stätten aufzählen kann, wo er gewesen ist und die er mit seiner Digitalkamera festgehalten hat. Dass diese ihm dann ausgerechnet am Ende seiner Reise und vor der heiligen Kathedrale entwendet wurde, sieht er weniger als materiellen Verlust, denn als ideellen, wollte er sich an den Bildern doch noch Jahre erfreuen. Tröstend erklärt ihm der freundliche Polizeibeamte in einer Art "Spanglish", dass nicht die Bilder das Ziel seiner Pilgerreise sein sollten, sondern der Weg ist das Ziel!Eine Aufforderung, die auch für uns gilt, wenn wir am Ende des Films die vier Episoden zu einem gemeinsamen Bild zusammenfügen und so auf die Spur einer Art 'European way of life' kommen, dass unsere Vorstellung von einem gemeinsamen Europa zumindest bereichert.
(Kalle Somnitz, playtime by biograph)