Palindromes
USA 2004, Laufzeit: 100 Min.
Regie: Todd Solondz
Darsteller: Ellen Barkin, Stephen Adly-Guirgis, Jennifer Jason Leigh, Emani Sledge,Valerie Shusterov, Hannah Freiman, Rachel Corr, Will Denton, Sharon Wilkins, Shayna Levine, Richard Masur, Debra Monk, Matthew Faber, Robert Agri, John Gemberling, Stephen Singer, Alexander Brickel, Walter Bobbie, Richard Riehle
Palindrome sind Wörter und Sätze, die vor- und rückwärts gelesen den gleichen Sinn ergeben. Doch was passiert eigentlich, wenn man das auf ein Menschenbild überträgt? Diese Frage beantwortet Todd Solondz ("Willkommen im Tollhaus") in seinem neuen Film und führt den Betrachter tief in die Abgründe der menschlichen Existenz. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die zwölfjährige Aviva (Achtung, Palindrome!) und ihr Wunsch nach einem Baby. Dies ist der Beginn einer Suche nach Liebe und entwickelt sich zu einer Reise in das Herz des amerikanischen Alptraums.Die Filme von Todd Solondz verbergen hinter der babyblauen Oberfläche weit mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Bei seinem neuen Werk PALINDROME wagt er es, mehrere Darsteller einen Charakter verkörpern zu lassen. Die Hauptfigur wird von zwei Frauen, vier Mädchen zwischen 13 und 14 Jahren, einem zwöfljährigen Jungen und einem sechsjährigen Mädchen gespielt. In jedem Kapitel des Films wird Aviva von jemand anderem dargestellt, und was zunächst verwirrend erscheint, entfaltet doch seinen eigenen bösen Zauber. Solondz vervielfacht damit die Identifikationsmöglichkeiten und verschafft den Charaktereigenschaften seiner Hauptfigur gleichzeitig eine allgemeine Gültigkeit im Sinne des Kerns der Geschichte. Es geht ihm in PALINDROME wie auch in allen seinen anderen Filmen um die Suche nach Liebe in einer bigotten Gesellschaft. Dass er dabei gerade die Perspektive pubertierender Jugendlicher so sehr schätzt, liegt sicher daran, dass die Gefühlswelten in dieser Entwicklungsphase zwischen Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt besonders polarisiert sind. Das Grauen der Existenz in einer Gesellschaft, die nur von den eigennützigen Interessen ihrer Protagonisten bestimmt ist, bricht sich mit den eigenen Ansprüchen an das Leben. Gleichzeitig ist man machtlos gegen die Autorität Erwachsener und erfährt Repression in der reinsten Form.Wenn Aviva zu Beginn des Films tatsächlich von ihrem Cousin geschwängert wird, zwingen sie ihre liberalen Eltern zur Abtreibung. Die Mutter erklärt ihr, wie sehr das zu ihrem eigenen Besten ist. Weil der Arzt einen Fehler macht, kann sie nach dem Eingriff nie wieder Kinder bekommen, was ihr die Eltern selbstverständlich verschweigen, um sich dann hinter ihrem Rücken selbst zu bemitleiden, dass sie nun keine Großeltern mehr werden können. Frustriert lässt Aviva ihr Elternhaus hinter sich und reißt aus. Unterwegs hat sie Sex mit einen pädophilen Trucker in einem Motelzimmer. Das Mädchen will mit ihm zusammen sein, aber am nächsten Morgen ist er längst über alle Berge. Bei der streng christlichen Sunshine-Family strandet Aviva und wird zunächst liebevoll aufgenommen. Die freundliche Jesus-Freaks, die christliche Lieder schmettern, entpuppen sich bald als äußerst radikal und schrecken auch vor Mord und Totschlag nicht zurück. Dass Aviva gerade in diesem Umfeld dem pädophilen Trucker wieder begegnet, wundert da kaum noch.Das eigentlich Subversive an PALINDROMES ist, dass die Abgründe in eine sehr konventionelle Bildsprache und Erzählweise eingebettet sind. Solondz seziert im Sinne des Existenzialismus mit bitterbösem Humor die amerikanische Gesellschaft und teilt nach allen Seiten aus. Mit diebischem Vergnügen rammt er seine Stacheln ins Herz des Betrachters und verkündet die wenig frohe Botschaft, dass sich im Leben sowieso nichts verändern lässt. "Es bleibt immer dasselbe", heißt es nicht nur einmal im Film - eine gewagte Aussage, die das Moral- und Wertesystem moderner Gesellschaften in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.
(Eric Horst, playtime by biograph)