Philomena
Großbritannien 2013, Laufzeit: 94 Min., FSK 6
Regie: Stephen Frears
Darsteller: Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark
>> www.philomena-film.de
Wie kann man glaubwürdig vertreten, dass ein Film über Vergangenheitssünden der katholischen Kirche in Irland beste Unterhaltung sein kann? Auf unserer ausverkauften Silvesterpremiere, wo Stephen Frears „Philomena“ erstmals lief, hinterließ er jedenfalls ein euphorisches, gut gelauntes Publikum, das nicht nur einen tollen Film gesehen, sondern auch zwei Stunden Spaß gehabt hat. Das dürfte wohl daran liegen, dass es eine wahre Freude ist, den beiden Darstellern bei ihrem ergreifenden Spiel zuzuschauen.
Stephen Frears fasste es auf der Pressekonferenz in Venedig am besten zusammen. Er hielt seinen Anteil an diesem Film für den geringsten. Schließlich kam er als letztes an Bord, das Drehbuch war geschrieben, der Film finanziert und die Schauspieler gecastet. Da musste er nur noch „Action“ sagen, denn solch tollen Schauspielern kann er eh keine Tipps geben. Tatsächlich ist es die Mischung der beiden Charaktere, die hier aufeinandertreffen: Auf der einen Seite der zynische Star-Reporter und ehemalige BBC-Korrespondent Martin Sixsmith, der nur an der Aufdeckung eines Skandals interessiert ist, und auf der anderen Seite die herzlich gute, vielleicht etwas naive Philomena Lee, die nur das ihr zugefügte Unrecht nach so vielen Jahren aufklären will.
Philomena geht auf die siebzig zu und ist mit ihrem Leben im Reinen, nur eine Sache beschäftigt sie schon mehr als fünfzig Jahre, und als mal wieder ihre Tochter Jane zu Gast ist, nimmt sie all ihren Mut zusammen und gesteht ihr, dass sie einen Bruder hat. Der war das Produkt ihrer ersten Liebe, allerdings unehelich, was im streng katholischen Irland der 50er Jahre ein Unding war. Sie wurde von ihren Eltern verstoßen und ins Kloster geschickt, um der öffentlichen Schande zu entgehen. Doch Philomena traf dort nicht auf Barmherzigkeit: Sie wurde von den Nonnen genötigt, ihr Kind zur Adoption freizugeben und musste Jahre im Dienste des strengen Klosters verbringen, stets hoffend, dass sich keine Pflegeeltern für ihren Sohn Anthony finden würden und sie ihn irgendwann zu sich nehmen dürfte. Doch Philomenas Hoffnung wurden enttäuscht, als das Kind zu neuen Eltern in die USA gegeben wurde. Seitdem hat sie nie mehr etwas von ihrem Sohn gehört.
Jane kann die Geschichte nicht fassen und ruft sogleich den zur Zeit arbeitslosen ehemaligen BBC-Korrespondenten Martin Sixsmith auf den Plan. Zusammen mit Philomena wird er vorstellig in jenem Kloster, doch ihre Nachforschungen stoßen auf Mauern des Schweigens. Also macht sich das ungleiche Paar auf nach Amerika, erhält Zugang zu den Akten der Einwanderungsbehörde und deckt Stück für Stück einen Skandal auf, den kein Drehbuchautor erfinden, sondern nur das Leben selbst schreiben kann...
Stephen Frears erzählt diese Tragödie als moderne ‚tragic comedy’ mit enormem Unterhaltungswert. Insbesondere das gegensätzliche Spiel seiner beiden Hauptdarsteller ist erlesenste Schauspielkunst. Während Coogan den Journalisten als ziemlich arroganten Zyniker very british anlegt, stellt Judi Dench als Philomena einen vielleicht etwas naiven, aber umso menschlicheren Charakter dar. Am Ende vergibt sie den Nonnen, weil sie nicht hassend durch den Rest ihres Lebens gehen will. Eine wahrhaft christliche Haltung, mit der Judi Dench der wahren Philomena Lee gerecht zu werden hofft. Sie hat sie mehrmals treffen können und war von ihr schwer beeindruckt: „weil diese Frau trotz ihres schweren Schicksals nie den Humor verloren hat.“ Dies kann man auch vom Film behaupten, der ein hartes Thema auf die erdenklich unterhaltendste Weise verarbeitet.
(Kalle Somnitz - biograph)