Phoenix
Deutschland 2014, Laufzeit: 98 Min., FSK 12
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf
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In Christian Petzolds letztem Film „Barbara“ will die Protagonistin aus der DDR fliehen, findet aber, aufs Land strafversetzt, ein neues Leben. Jetzt spielt wieder Nina Hoss die Hauptrolle, diesmal die Jüdin Nelly, die 1945 schwer verletzt aus dem KZ zurückkehrt und ihr altes Leben zurückhaben will. Das ungeheuer präzise Drehbuch hat Petzold wieder zusammen mit Harun Farocki geschrieben, der im letzten Monat unerwartet verstorben ist. Insider halten es schon für sein Vermächtnis.
Ihre gute Freundin Lene, eine Mitarbeiterin der Jewish Agency, hat Nelly nach ihrer Befreiung aus dem KZ aufgenommen und hilft ihr. Nelly ist nicht nur schwer verletzt, sondern auch bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der große Verband rund um ihr Gesicht, nur die Augen sind ausgenommen, deutet bereits an, dass man ihr mehr genommen hat als die Gesundheit: ihr Leben und ihre Identität.
Der Schönheitschirurg rät Nelly davon ab, ihr altes Gesicht zu rekonstruieren. „Damit werden die wenigsten glücklich“ erklärt er, aber Nelly will ihr altes Gesicht zurück und sie wird darum kämpfen, auch ihr altes Leben wiederzuerlangen, auch wenn dies ein hoffnungsloser Kampf sein sollte. Sie fragt Lene nach ihrer großen Liebe, Johnny, doch Lene weicht aus, sie glaubt, dass Johnny sie an die Nazis verraten hat, aber Nelly sieht in ihm und ihrer Liebe zu ihm, die sie all das hat überstehen lassen, den Schlüssel für ihre Zukunft. Allein macht sie sich auf die Suche nach ihm, stakst unsicher durch die ehemalige Heimat, die in Trümmern liegt. Als sie ihn endlich findet, erkennt er sie nicht einmal, lediglich ihre Ähnlichkeit mit seiner ehemaligen Frau, die er für tot hält, bringt ihn auf einen perfiden Plan. Sie soll Nelly spielen, aus dem Lager zurückkehren und von ehemaligen Freunden erkannt werden, damit sie gemeinsam an das Erbe der komplett umgekommenen Familie herankommen. Nelly geht auf den Plan ein, probiert die Schuhe aus Paris, das schöne rote Kleid, sie lernt ihre eigene Unterschrift zu fälschen, trägt Make Up auf und färbt sich wieder die Haare. Stück für Stück gewinnt sie ihre Identität zurück und dann üben sie gemeinsam die Wiederankunft. „Ich soll im roten Kleid mit Pariser Schuhen aus dem Lager zurückkommen?“, fragt sie ungläubig und Johnny antwortet: „Doch sonst erkennen sie dich nicht…“
Es sind diese kleinen Ungereimtheiten, die diesen Film so interessant machen, und jede dieser Ungereimtheiten geht zurück auf wissenschaftlich Analysen dieses Traumas. Farocki und Petzold haben all diese Erkenntnisse in einen spannenden Film gegossen, der als Krimi oder Liebesgeschichte die deutsche Vergangenheit auf eine überraschende Weise zu bewältigen versucht. Unmissverständlich bekommt man eine Vorstellung davon, wie es ist, in ein Leben zurückzukehren, das es nicht mehr gibt, zu Freunden, die keine mehr sind, und zu einem Liebsten, der einen nicht mehr erkennt. Lene hat damit längst abgeschlossen und wird nach Israel auswandern. Sie kann keine deutsche Musik mehr hören, keine deutschen Texte mehr lesen, sie will Abstand und Rache, während Nelly bereit ist, für ihr Leben Opfer zu bringen. Diese unterschiedlichen Lebenskonzepte erinnern an das Alte und das Neue Testaments. Lene ist für „Auge um Auge“, während Nelly weiß, dass sie verzeihen muss, um wieder glücklich zu werden.
Neben Nina Hoss, die hier am Anfang einen erstaunlichen Mut zur Hässlichkeit zeigt, und das Unbehagen Nellys in ihrer neuen/alten Welt mit sehenswerter Körpersprache ausdrückt, hat Petzold mit Robert Zehrfeld wohl auch den Schauspieler seiner Wahl gefunden. Wie schon in „Barbara“ überzeugt Zehrfeld mit seiner enormen Präsenz, ist einfühlsam und dennoch bestimmend, und er schleppt einen riesigen Schuldkomplex mit sich herum, der ihn für die wahren Dinge des Lebens blind macht
(Kalle Somnitz - biograph)