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Poor Things

Poor Things
Irland, Großbritannien, USA 2023, Laufzeit: 141 Min., FSK 16
Regie: Yórgos Lánthimos
Darsteller: Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem Dafoe, Ramy Youssef, Christopher Abbott, Jerrod Carmichael
>> www.poorthingsfilm.de/

Yorgos Lanthimos' POOR THINGS beherrschte das letztjährige Festival in Venedig. Seit seiner frühen Premiere stand er ganz oben auf der Liste der Anwärter auf den Goldenen Löwen. Daran hatte die Produktionsfirma wohl nicht mehr geglaubt, weil der Film ohne Emma Stone, die wegen des Streiks in Hollywood nicht anreisen durfte, ins Rennen gehen musste. Deswegen wurde auch der Filmstart flugs ins nächste Jahr verschoben, und so war Lanthimos umso erfreuter über den Erfolg. Er hatte den auf einer Novelle des schottischen Schriftstellers Alasdair Gray beruhenden Stoff Emma Stone auf den Leib geschrieben und sie sogar als Mitproduzentin ins Boot geholt.

Schade für die Schauspielerin, dass sie der Premiere nicht beiwohnen, den Applaus nicht entgegennehmen und auch die Preisvergabe nicht erleben konnte. Sie war in Abwesenheit die Königin dieses Festivals. Sie spielt die schwangere Bella Baxter, die sich gleich zu Beginn des Films mit einem Sprung von der Klippe das Leben nimmt, um sich ihrem übergriffigen Ehemann zu entziehen. Der unorthodoxe Arzt und Wissenschaftler Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe) findet sie, flickt sie wieder zusammen, transplantiert ihr das Gehirn ihres ungeborenen Babys und holt sie wieder ins Leben zurück.
So erwacht Bella im Körper einer erwachsenen Frau, hat aber den Geist eines Kindes und muss neu lernen, sich zu bewegen und zu sprechen. Dabei macht sie faszinierende Fortschritte, die Baxter von seinem Mitarbeiter wissenschaftlich genau protokollieren lässt. Sie beobachten, wie sich Emma aus der Corsage einer Frau Ende des 19. Jahrhunderts löst, gesellschaftliche Fesseln ihrer Zeit hinter sich lässt und einen völlig neuen Charakter entwickelt, der sie in ihrer Entschlossenheit bestärkt, für Gleichheit und Befreiung einzutreten. Godwin gibt ihr dafür alle erdenklichen Freiheiten, will sehen, wie sich ein Mensch ohne die üblichen gesellschaftlichen Schranken entwickelt. Und siehe da, es entsteht kein Monster. sondern eine freiheitsliebende Persönlichkeit, die sich ihre Rechte nicht mehr nehmen lässt. Auch nicht, als der Professor sie mit seinem Assistenten verheiraten will, um so ihre sexuellen Triebe zu kontrollieren. Zwar mag sie den jungen Mann, der sich täglich um sie kümmert, doch vorher will sie die Welt kennenlernen und flieht mit ihrem glühendsten Verehrer, dem aalglatten Anwalt Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) in ein stürmisches Abenteuer über mehrere Kontinente. Doch Wedderburn ist ihr bald schon nicht mehr genug, ihr gelüstet nach anderen Männern, die ihr mehr vom Leben und der Welt zeigen können. Sie ist neugierig auf alles Neue, liest, lernt und nimmt sich stets, was ihr gefällt. Der Titel des Films ist dann wohl am ehesten auf ihre Männerbekanntschaften zu beziehen, die sie folgerichtig in ein Pariser Bordell führen, wo sie den Sozialismus einführen will.
So lässt sich diese "Frankensteiniade" als Plädoyer für Frauenrechte und Emanzipation lesen, aber noch beeindruckender sind die Bilderwelten, in die uns Lanthimos schon in KILLING OF A SECRET DEER und THE LOBSTER geführt hat. Diese visuelle Kunst hat er in seinen letzten Filmen derart verfeinert, dass er spätestens jetzt in den Olymp der zurzeit besten Regisseure aufgestiegen ist und neben Kollegen wie Wes Anderson, Dennis Villeneuve oder Christopher Nolan bestehen kann.

(Kalle Somnitz)

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