The Master
USA 2012, Laufzeit: 137 Min., FSK 12
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams
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Meisterlich inszeniert der kalifornische Autorenfilmer P.T. Anderson nach seinem monumentalen Drama „There Will Be Blood“ erneut ein herausragendes Charakterszenario, das seinen Darstellern den Rahmen für Höchstleistungen gibt. Gedreht auf 65mm-Breitwand-Film, gelingt ihm damit ein detailreiches Tableau des Nachkriegsamerikas, zwischen Trauma und zweifelhafter Aufbruchstimmung, verkörpert durch die intensive, abhängige Beziehung eines Ex-Soldaten zu einem charismatischen Sektenführer, dessen Figur an den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard angelehnt ist.
In Fragmenten entfaltet sich das Leben des heimgekehrten US-Marines Freddie Quell (Joaquín Phoenix) dem Zuschauer. Der zweite Weltkrieg, genauer gesagt, der in seiner Brutalität oft unterschätzte Einsatz im Pazifik, ist beendet und die Vereinigten Staaten stehen vor einer Flut von orientierungslosen Männern, deren Reintegration in die Gesellschaft zu Recht zweifelhaft erscheint. Zu tief sind die körperlichen und seelischen Verwundungen, als dass man getrost wieder einer normalen Arbeit nachgehen, ein Studium aufnehmen oder eine Familie gründen könnte, doch die behandelnden Ärzte haben noch keinen Begriff eines „Posttraumatischen Belastungssyndroms“ und entlassen Freddie, trotz beunruhigender Testergebnisse, in einen ungewissen Alltag und eine Anstellung als Kaufhausfotograf. Das Labor bietet genug Chemikalien, um harte Drinks zu mixen und Raum um zwischen den Arbeitsschichten willige Frauen zu verführen, doch neben Alkoholismus und einer Sexualneurose hat Freddie leider auch ein nicht gerade kleines Aggressionsproblem, was ihn die Verlogenheit der aufstrebenden Wirtschaftswunder-Gesellschaft, die sich in seinen Fotos spiegelt, schwer ertragen lässt und nach einer Gewalteskalation seinen Job kostet. So driftet Freddie volltrunken und planlos durchs Land, bis er eines Morgens als blinder Passagier auf einem Schiff erwacht. Dieses trägt nicht zufällig den Namen „Aletheia“, was im Griechischen soviel bedeutet wie „Offenbarung“. Der Kapitän des Schiffes, Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), gibt sich gern als jovialer Intellektueller und ist augenblicklich fasziniert von der animalischen Triebkraft Freddies, die er mit seinen sehr speziellen Prozeduren zu bändigen versucht. Für diesen wiederum ist der in sich ruhende Patriarch eine mögliche Vaterfigur, der er bereit ist, sich zu unterwerfen und vielleicht der erste Mensch, der sich wirklich für die Abgründe interessiert, die Freddie umtreiben. So schließt er sich Lancasters Gruppierung „The Cause“ an, die durch eine seltsame Ideologie aus Reinkarnationsglauben und Selbstoptimierung das amerikanische „Streben nach Glück“ auf eine sehr eigene Weise verfolgt. Missgünstig beobachtet Lancasters schwangere Ehefrau (Amy Adams) die zunehmend intimer werdende Bindung zwischen den ungleichen Männern, doch Freddie will seinen neu gefunden Platz in der Gemeinschaft unter keinen Umständen räumen, koste es, was es wolle.
Untermalt von der atonalen Komposition des Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood, montiert Anderson Bilder von epischer Schönheit mit Schauspielsequenzen, in denen sich Phoenix und Hoffman auf der Klaviatur von Mimik und Gestik gegenseitig übertrumpfen. Trotz dieses darstellerischen Kräftemessens bleibt „The Master“ auf der Ebene einer intellektuellen Betrachtung von Beziehungs- und Gesellschaftsgefügen, bietet bewusst kaum Möglichkeiten der Identifikation und fordert deswegen vom Zuschauer etwas an Geduld. Wer diese aufbringt, wird im wahrsten Sinne des Wortes mit großem Kino belohnt, in dem Anderson, wie bereits in seinen Vorgängerfilmen, alternative Konzepte von Familien („Boogie Nights“) und historische Epochen des Umbruchs auf eindrucksvolle Weise erforscht.
(Silvia Bahl - biograph)