The Outrun
Großbritannien, Deutschland, Spanien 2023, Laufzeit: 118 Min., FSK 12
Regie: Nora Fingscheidt
Darsteller: Saoirse Ronan, Paapa Essiedu, Stephen Dillane
>> www.arthaus.de/the_outrun
Auf der diesjährigen Berlinale ragte der lang erwartete Nachfolger der "Systemsprenger"-Regisseurin Nora Fingscheidt über die thematisch interessanten und mit guten Darstellern besetzten deutschen Produktionen vor allem durch seine visuell überwältigenden Qualitäten hinaus. Da THE OUTRUN schon mit großem Erfolg in Sundance gezeigt wurde, lief er zwar nur in der Panorama-Sektion statt im Hauptwettbewerb, wäre aber auf jeden Fall preiswürdig gewesen.
Er beruht auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Amy Liptrot, mit der Fingscheidt in enger Zusammenarbeit auch das Drehbuch verfasste. Einfühlsam über wechselnde Zeitebenen hinweg schildert der Roman den Weg der Protagonistin Rona aus ihrer Alkoholsucht, der sie zurück in ihre Heimat führt. Bei ihrer Familie auf den Orkneyinseln versucht sie, den Verführungen der Großstadt London zu entkommen, muss sich dort aber anderen Dämonen ihrer Vergangenheit stellen. In der Abgeschiedenheit der Natur findet Rona die Ruhe, um zu sich zu kommen. Sie schwimmt mit den Robben im eiskalten Meer, nimmt einen Job bei einer Vogelschutzstation an, erinnert sich an die Sagen und Mythen ihrer Heimat, die ihr Erdung und Halt verleihen.
Schwarzweiß-Aufnahmen und Animationen sind weitere Stilmittel, die Fingerscheidt in ihre Erzählung einbindet, um damit das Geschehen neben den atemberaubenden Aufnahmen der rauen Landschaft aufzulockern. Allerdings machen es die Zeitsprünge dem Zuschauer auch nicht gerade leicht, der Handlung zu folgen, wobei die wechselnden Haar-Schattierungen der Protagonistin ein wenig Orientierung bieten. Einmal mehr erweist sich Saoirse Ronan als begnadete Schauspielerin, die mit ihrem eindringlichen Spiel die Handlung trägt. Sie hat den Stoff entdeckt, der sich auf Amy Liptrot Tagebücher gründet und ihn Nora Fingscheidt angetragen. "Die Tagebücher waren weniger Beschreibungen von Tageserlebnissen als vielmehr Beschreibungen von Sinneseindrücken, die immer im Kontext zur Natur standen", erzählte Fingscheidt in Berlin. Das habe sie inspiriert, diese Geschichte einer Alkoholikerin mit starken Naturaufnahmen zu erzählen.
Neben der hervorragenden Kameraarbeit von Yunus Roy Imer, mit dem sie schon bei SYSTEMSPRENGER zusammengearbeitet hat, ist auch der Einsatz von Musik, Sounddesign und Schnitt von hoher Qualität, wobei sich die frühe Einbindung und Kooperation aller Beteiligten am Produktionsprozess positiv bemerkbar macht. Der Film wird so zu einem Gesamtkunstwerk, bei dem die Zuschauerinnen und Zuschauer Ronas Gedanken- und Gefühlswelt auch mit ihren Sinnen erfassen können.
Nora Fingerscheidt über ihren Film: „Als ich Amy Liptrots autobiografisches Buch 'The Outrun' zum ersten Mal las, war es Amys innerer Kampf und der nonlineare Prozess ihrer Heilung, was mich daran wirklich bewegte. Das Ganze in ein Drehbuch zu verwandeln war eine Herausforderung, denn die Geschichte an sich hat keinen spannungsgeladenen Plot, keine unerwarteten Wendungen, sondern ist sehr sanft und dabei brutal ehrlich. Die Erzählung gleitet und springt – wie Zeit und Raum, wie Robben im Wasser, wie Amys Gedanken."