The Place Beyond the Pines
USA 2012, Laufzeit: 140 Min., FSK 12
Regie: Derek Cianfrance
Darsteller: Ryan Gosling, Bradley Cooper, Eva Mendes, Rose Byrne, Ray Liotta, Dane DeHaan, Ben Mendelsohn
>> www.theplacebeyondthepines.de
Bereits mit „Blue Valentine“ ist dem Independent-Regisseur Derek Cianfrance ein hervorragendes Charakterdrama mit Ryan Gosling in der Hauptrolle gelungen. In seinem neuen Werk öffnet er den Fokus von der Intimität des Vorgängerfilms zu einer epischen Betrachtung komplexer Vater-Sohn-Beziehungen, die deutlich macht, wie Verletzungen von Generation zu Generation weiter gegeben werden, wie Familienbande den eigenen Lebensweg vorzeichnen, ohne dass es uns bewusst ist. Seine Figuren faszinieren von der ersten Sekunde an und ihre Geschichten berühren bis ins kleinste Detail.
Handsome Luke (Ryan Gosling) ist der Künstlername des wortkargen jungen Mannes, mit dem Cianfrance beginnt, irgendwann Mitte der 80er Jahre, und er trägt ihn nicht umsonst: als eine der Hauptattraktionen bei einer Motorrad-Stunt-Show auf dem durchs Land tourenden Rummelplatz ist er physisch, aber auch emotional ständig in Bewegung, so dass er flüchtige Affären magisch anzieht. Man erfährt nicht viel über seine Vergangenheit, doch sie hat sich in Form von vielgestaltigen Tätowierungen sichtbar in seinen Körper eingeschrieben und sie scheint schmerzhafte Erfahrungen zu beinhalten. Als eine verflossene Liebschaft ihn wieder kontaktiert, verändert sich Lukes Leben schlagartig: Durch Zufall bringt er in Erfahrung, dass Romina (Eva Mendes) seinen Sohn geboren hat, nachdem er die Stadt das letzte Mal verließ und alte Wunden brechen wieder auf. Selbst ohne Vater aufgewachsen, fürchtet Luke, dass sein Kind ebenso unglücklich werden könnte, wie er selbst und so ist er fest entschlossen, das erste Mal in seinem Leben Verantwortung zu übernehmen. Doch die Situation ist kompliziert: Romina lebt mit einem anderen Mann zusammen, der ihr die Stabilität bieten kann, ein Kind aufzuziehen und Luke hat nicht die Mittel und Möglichkeiten seiner neugewonnenen Familie ein akzeptables Zuhause zu bieten. Aufgrund seiner Fahrkünste bietet sich ihm eine kriminelle Perspektive: Zusammen mit einem Freund überfällt er simpel und effektiv eine Bank - der Coup gelingt und durch die erbeutete Summe rückt eine bessere Zukunft scheinbar in greifbare Nähe. Doch Luke sehnt sich zu sehr nach ihr.
Die zweite Episode begleitet die Geschichte des Polizisten Avery Cross (Bradley Cooper), dessen Leben auf schmerzhafte Weise mit dem von Luke interferiert. Auch er hat ein problematisches Verhältnis zu seinem Vater, einem hochrangigen Richter, der zwar anwesend ist, aber durch seine manipulative Fixierung auf eine politische Karriere keinerlei Vorbildfunktion für Avery erfüllt, so dass dieser bei seinem Traum von einem einfachen, aufrechten Polizistenleben bleiben will. Doch dieser Lebensentwurf wird herausgefordert – durch korrupte Strukturen innerhalb der Behörde, die bald seine Existenz bedrohen. Auch Avery hat einen Sohn, doch es fällt ihm schwer für ihn da zu sein. Man darf nicht zu viel verraten, da die Protagonisten-Schicksale in „The Place Beyond The Pines“ beständig miteinander verwoben sind und auf einander aufbauen. Die dritte Episode widmet sich den Söhnen und schließt so die Inszenierung bewusst zu einem Triptychon, das bereits durch die musikalische Untermalung stellenweise einen sakralen Charakter erhält. In einer Schlüsselszene sitzt Luke in der Kirche, als unerwünschter Gast bei der Taufe seines eigenen Sohnes und weint angesichts der Reinheit, die jenes kleine Wesen ausstrahlt, eine Unschuld, die er selbst schon lange verloren hat. Ein Kind wird getauft, es bekommt einen Namen, es beschreitet einen Weg in der Gemeinschaft, doch welcher wird das sein? Cianfrance konstruiert diese Generationen übergreifende Geschichte sehr bewusst, um zu untersuchen, wie gewaltig die Folgen früher Verletzungen sein können, wie schwer es mitunter ist, das eigene Leben zu rekonfigurieren, um nicht genau dieselben Fehler zu machen, wie die Eltern. Es dennoch zu versuchen, ist der unaufdringliche Apell, den Cianfrance aus seinem Film sprechen lässt, vielleicht auch schon dadurch, dass man sich der Verknüpfungen bewusst wird.
(Silvia Bahl - biograph)