Thumbsucker
USA 2004, Laufzeit: 97 Min., FSK 12
Regie: Mike Mills
Darsteller: Lou Taylor Pucci, Tilda Swinton, Vince Vaughn, Vincent D'Onofrio, Keanu Reeves, Benjamin Bratt, Kelli Garner, Chase Offerle
Ein weiterer wunderbar skurriler Coming-of-age Film reiht sich in die neue Generation der Slackerfilme wie "Donnie Darko" und "Garden State". Mike Mills Erstling basiert auf dem Bestseller von Walter Kirn und wirft einen Blick auf die Befindlichkeiten eines Teenagers, dessen Leben auch und doch irgendwie anders von Sex, Drugs und melancholischem Indie-Rock bestimmt wird.Justin ist schon ein seltsamer Junge, ein wenig blass und schlaksig, mit einem Blick, der entweder nach innen gekehrt ist oder in unbekannte Ferne schweift. Die meiste Zeit nuckelt er dabei an seinem mittlerweile durchweichten Daumen, den er immer wieder staunend begutachtet - aber auch ein wenig peinlich berührt, denn schließlich ist er mit seinen 17 Jahren weit über das Alter hinaus, in dem Daumenlutschen toleriert wird. So verschroben und unzugänglich ihn die Menschen in seinem Umfeld auch finden, in seinen Augen wirken die anderen nicht weniger seltsam. Und so zeichnet Mike Mills mit seinem Film die hermetische Welt des Justin Cobb, der die Dinge, die ihn umgeben, mit verwundertem Blick wahrnimmt. Wunderlich ist vor allem sein Zahnarzt Perry (wahnsinnig komisch: Keanu Reeves), der es immer wieder schafft, Justin zu irritieren. Dieser fühlt sich nämlich nicht nur dazu berufen, Justins Zähne zu korrigieren, sondern ihn von der Obsession des Daumenlutschens nebst allen anderen negativen Energien befreien zu können. Wenn Perry in den Sitzungen immer wieder ins Esoterische abdriftet und Seelentiere beschwört, wirkt das zwar überzeichnet, aber dennoch nicht übertrieben. Er ist ein bisschen wie eine schräge Figur aus Alice im Wunderland, die Justin nervt, aber von der er trotzdem nicht lassen kann. Denn letztendlich gefallen sich beide in der Rolle des verschrobenen Außenseiters, der gleichzeitig darunter leidet.Eines Tages lösen sich Justin's Probleme jedoch wie von Zauberhand und auch der Daumenlutscherei wird ein Ende gesetzt. Er leide an ADHS, dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom, heißt es, und dieses ist bekanntermaßen recht einfach durch die Einnahme von Ritalin zu beheben. Justin fühlt sich befreit, er muss nicht mehr erklären, was ihm vorher unerklärlich erschien. Und durch die kleinen Pillen, die er mit heiliger Sorgfalt schluckt, verschwinden seine sogenannten Schwächen und seine Stärken kommen zum Vorschein. Justin liest wie ein Wahnsinniger und wird ungeschlagener Champion jedes Debattierwettbewerbs. Doch der Stolz der Eltern und die Bewunderung der Lehrer und Mitschüler schlagen bald in Unbehagen um. Denn Justin mutiert zu einem arroganten Klugscheisser, dem niemand mehr das Wasser reichen kann. "Thumbsucker" gehört nicht zu den Filmen über das Erwachsenwerden, die in Melancholie schwelgen und ihren Figuren gern dabei zuschauen, wie sie hilflos in Lethargie versinken. Im Gegenteil: Justin kontert, schreckt vor Boshaftigkeiten nicht zurück und kokettiert gern mit seinem Anderssein. Die Frage nach dem Sinn des Daseins wird mit einer gehörigen Portion Ironie und viel trockenem Humor aufbereitet. Das alles fasst Mills, der seine Karriere mit Musikvideos und Werbefilmen begann, in coole asketisch-graublaue Clipästhetik, unterlegt mit einem wunderbaren Soundtrack.
(Alexandra Kaschek, playtime by biograph)