Werk ohne Autor
Deutschland 2018, Laufzeit: 189 Min., FSK 12
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Darsteller: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer
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Auf dem Filmfestival in Venedig wusste Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen") durchaus zu beeindrucken. Nach der eindrucksvollen Premiere stand er der Presse Rede und Antwort, und das auf Englisch, Italienisch und sogar Französisch, je nachdem wie die Frage gestellt wurde. Inspiriert von der Vita des deutschen Künstlers Gerhard Richter versucht von Donnersmarck den ganz großen Wurf. Über drei Epochen deutscher Geschichte hinweg erzählt er eine tragische Lebensgeschichte, eine vielleicht ein wenig blass geratene Liebesgeschichte und versucht gleichzeitig, den Begriff Kunst zu erklären und aufzuzeigen, was er für unser aller Leben bedeutet.
Kurt ist noch ein kleiner Steppke, als seine Tante mit ihm eine Ausstellung für "entartete Kunst" in Dresden besucht. Der etwas steife, aber umso eloquentere Ausstellungsführer (Lars Eidinger) erklärt ganz im Sinne der aufkommenden Nazi-Doktrin, warum diese Kunst wertlos ist. Kurt scheint ein wenig eingeschüchtert, doch seine Tante flüstert ihm hinter vorgehaltener Hand, dass sie die Bilder eigentlich ganz schön findet. Sie war die erste, die Kurts künstlerisches Talent erkannte und förderte ihn bereits als Kind. Ihre eigene künstlerische Sensibilität wurde hingegen von den Nazis als Schizophrenie ausgelegt. Sie wurde zu "unwertem Leben" erklärt und von Professor Seeband von ihrem "nutzlosen Dasein" in einer Gaskammer "befreit".
Nach dem Krieg in Ostberlin kreuzen sich erstmals die Wege der beiden männer, ohne dass sie einander erkennen. Während es der Gynäkologe Seeband geschafft hat, mit der Hilfe eines russischen Generals wieder als Frauenarzt praktizieren zu dürfen, schlägt sich Kurt als junger Kunststudent mit dem neuen Geist der sozialistischen Arbeiterkultur herum. Auch wenn er mit dieser nicht so recht warm wird, so trifft er hier immerhin die Mode-Studentin Elisabeth (Paula Beer), die Tochter Seebands. Instinktiv ist Seeband gegen diese Beziehung, kann ihre Heirat aber nicht verhindern und auch nicht ihren Wechsel in den Westen. "Als Maler kannst du eigentlich nur nach München oder Hamburg gehen", raten ihm die Kommilitonen, doch Kurt wählt die Düsseldorfer Kunstakademie, wo etwas Neues ausprobiert wird: die Zero-Kunst. Hier geht es darum, alles Vergangene hinter sich zu lassen und wieder bei Null anzufangen, aber auch dieses Prinzip funktioniert für Kurt nicht. Erst ein Professor mit Faible für Fett und Filzhut öffnet ihm die Augen, fordert ihn auf etwas zu machen, das ihn persönlich bewegt.
Als Seebands ehemaliger Nazi-Chef in den Nachrichten enttarnt wird und Kurt dessen Geschichte nachgeht, verarbeitet er sein folgenschweres Verhältnis zu seinem undurchsichtigen Schwiegervater in einem Kunstwerk, das die wahre Schuld an den verhängnisvollen Ereignissen in seinem Leben in einem Gemälde ans Licht bringt - ohne dass dies dem Maler bewusst wäre. Nicht er schafft als Autor ein Kunstwerk, die Wahrheit teilt sich selbst im Abstrakten mit, und der Künstler hat die Sensibilität, die von ihr ausgehenden Kräfte und Erschütterungen zum Ausdruck zu
bringen. Diese Pointe, ebenso wie die lebhaft inszenierte Kunstszene in der Düsseldorfer Akademie, machen den Film zu einem Highlight für das Publikum und lassen über einige etwas hölzerne Momente einer typischen deutschen Geschichts-Inszenierung im Studio hinwegsehen. Der angedeutete Beuys erzählt von seinem Flugzeugabsturz im Krieg und von Krim-Tataren, die ihn in Filzdecken hüllten und seine Wunden mit Fett behandelten. Zwei Werkstoffe, denen er in seiner Kunst immer treu geblieben ist. Er lehrt Kurt, dass Kunst nie einen Zweck erfüllen kann, sondern immer die Verarbeitung von persönlich Erlebtem ist. Sie ist das Gegenteil von Wegsehen, sie schaut hin und hat die Aufgabe, Menschen die Augen zu öffnen.