Victoria
Deutschland 2015, Laufzeit: 139 Min., FSK 12
Regie: Sebastian Schipper
Darsteller: Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski
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Hiermit ist Sebastian Schippert ein fulminantes Ausnahmewerk sondergleichen gelungen, eine atemlose Achterbahnfahrt, die dem Puls Berlins und der Rastlosigkeit dieser Großstadt womöglich näher kommt, als jemals ein Film zuvor. In einer einzigen, atemlosen Plansequenz folgt er einer jungen Spanierin, die sich nach einem Clubbesuch einer zwielichtigen Gruppe anschließt und in ein unerwartetes und nervenzerreißendes Abenteuer hineingezogen wird.
Berlin zum Ende einer langen Nacht hin, die sich bald dem Ende neigt. Victoria (Laia Costa), eine junge Frau aus Madrid, verlässt einen Club und wird von vier Berliner Jungs - Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yigit) und Fuß (Max Mauff) angesprochen und lässt sich zu einer spontanen Tour überreden. Sofort spürt sie eine gewisse Affinität zu Sonne, dem vermeintlichen Chef der Gang. Nachdem sie von den Jungs durch Straßen bugsiert und auf Dächer geführt wurde, landet sie schließlich allein mit Sonne in dem Café, in dem sie arbeitet und das sie zum Morgen hin öffnen soll. Ihr vielversprechender Flirt wird jedoch unterbrochen vom Rest der Truppe, die sich auf eine krumme Sache eingelassen hat. Einer ihrer Leute ist jedoch ausgefallen und daher bitten sie Victoria, Chauffeurin für sie zu spielen. Diese ahnt noch nicht, dass sie zum Morgengrauen hin in einen absoluten Albtraum geraten wird.
"Victoria" spielt in Echtzeit. Und in technischer Hinsicht wurde hier nicht gemogelt, denn die Filmcrew wagte sich tatsächlich nach intensiven, gründlichen Proben auf die Straßen und filmte in einem einzigen Take. Dementsprechend befindlich und rastlos ist das Resultat dieses hoch ambitionierten Projekts, das diese Reise ans Ende der Nacht und einer plötzlichen Extremsituation so direkt und greifbar wie nur irgend möglich erfasst. Dass es nur zwölf Seiten Drehbuch gab und die Schauspieler einen großen Teil der Spielzeit hauptsächlich improvisieren mussten, merkt man der ein oder anderen Situation, in die unsere strittigen Helden geraten zwar an, doch atmosphärisch punktet der Film auf ganzer Linie. In einem mitreißenden Slalom verfolgt Kameramann Sturla Brandth Grøvlen die junge Spanierin und die fragwürdigen Gesellen, denen sie sich angeschlossen hat, durch Berlin und befördert das Ganze mit seinen lebendigen und teils faszinierend psychedelischen Aufnahmen in neue, kaum bekannte Sphären. Fast könnte man behaupten, dass die Unmittelbarkeit des Gezeigten und die Virtuosität des eingefangenen Geschehens ein völlig neues Terrain des Filmerlebnisses eröffnet. Die Idee einen Film in Echtzeit zu drehen, ist zwar nicht ganz neu, ebenso das Unterfangen endloser Kamerafahrten - ein komplizierter Aspekt des Filmemachens, das neuerdings durch Hollywoodregisseure wie Alfonso Cuarón oder Alejandro González Iñárritu mit "Gravity" und zuletzt "Birdman" großen Anklang bei Publikum und Kritik fand - aber die Kombination aus Beidem sorgt dank dieses neuesten Exempels für erdrückende und greifbare Spannung. Nicht umsonst wurde dieser inszenatorische und in aller Akribie vorbereitete Drahtseilakt, in dem uninformierte Fußgänger oder ein einziger Patzer eines Schauspielers oder Technikers hinter der Kamera dem gesamten Unterfangen den Garaus bereitet hätte, bei den internationalen Filmfestspielen in Berlin mit dem silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung gewürdigt.
(Nathanael Brohammer - biograph)