Die Bilder von Antonia Rodrian, gemalt in Öl auf Leinwand, sind attraktiv, demonstrativ, sinnlich, in ihrer Farbigkeit und im Lichtspiel brillant. Aber je länger man schaut, desto weniger ist klar, desto mehr stellt sich in Frage. Antonia Rodrian malt Dinge, Gerätschaften, die uns tagtäglich umgeben, auf die wir Zugriff nehmen und die wir eher gedankenverloren in eingeübte Handlungen verstricken, indem wir funktional miteinander agieren lassen. Fokussiert ist der Augenblick des Geschehens. In stilisiert schematischer Monumentalität, teils an die Bildränder und darüber hinaus reichend, besetzen sie in Ausschließlichkeit die Bildfläche, sind hier gleichermaßen fremd und vertraut, wirken technoid und doch organisch, wie plastisch und sind plane Fläche. Wer dominiert die Szenerie? Gerade in dieser geschärften Klarheit kippt die Positivform ins negativ, gespiegelt noch von den Schatten, die aber die Logik unterlaufen, weil sie verschoben scheinen wie Puzzleteile, die noch nicht eingefügt sind. Und so wie die Auflagefläche oder der Hintergrund einheitlich monochrom gefasst ist, so dominieren homogene, oft leuchtende, mitunter pastellfarbene Formen, welche die eigentliche Lokalfarbigkeit überhöhen und auf denen Licht reflektiert.
Das Repertoire der Motive bleibt konzentriert. Beschrieben sind profane Prozesse, die dem Haushalt und dem Heimischen zuzuordnen sind und mitunter vertraute Erinnerungen bereithalten, etwa das Kinderspiel mit den Händen: „Schere, Stein, Papier“ oder das Spitzen eines Bleistiftes. Dazu gehören das handwerkliche Trennen, das Zerlegen und Ablösen oder aber das sich Entblättern. Dann wieder schließen sich Verbindungen, etwa beim Auftrag von farbigem Nagellack, der hier als breiter kontinuierlicher Strom vom Bildrand auf den Fingernagel auftrifft. In einem anderen Gemälde haben mehrere Gabeln Spagetti aufgewickelt, wobei das verstrickende Halten durch die vier Zacken so explizit und wie bergend stattfindet, dass es an eine Hand mit ihren Fingern erinnern könnte, wenn es sich nicht um lediglich vier Glieder handeln würde. Hände und Finger bleiben ein Hauptmotiv. So liegen in einzelnen Händen die Gesteinsbrocken mit Fossilien, denen sich Antonia Rodrian bei ihrem Stipendien-Aufenthalt in Tel Aviv 2019/20 zugewendet hat und die nun auf den Handflächen betrachtet und gleichsam gewogen werden. Dann wieder beschränkt sich die Anwesenheit des Menschen auf eine Fingerkuppe, auf der eine Linse liegt – ein anderes Bild zeigt eine zusammengeklappte Brille –, oder eben auf Hände agierend von allen Seiten, so dass sie ein konzentriertes lebhaftes Zentrum erzeugen. Einzelne Messer schneiden durch grüne, vegetative Glieder, so dass deren Innenseiten mit ihrem helleren Grün einzusehen sind. Hobeleisen lösen dünne hellbraune Späne von einer Holzfläche, so dass sich diese, wie auch bei einem Bleistiftspitzer oder die Schale beim Schälen einer Orange, wie eine Helix winden – ein Gestus, der auch das weiße Papier ergreift, das aus einer Maschine, einem Faxgerät, quillt. Zu mehreren hin zum Rapport oder als Variation in der Menge führt eines zum anderen mitunter wie ein (eingefrorener) Handlungsablauf. Dabei ist bei aller Opulenz und Pracht auf diesen Bildern nichts zu viel. Mitunter stellt sich die Anmutung einer schematischen visuellen, äußerst exakten Gebrauchsanweisung ein. Andererseits öffnet sich das Bildgeschehen zu uns hin und kippt regelrecht auf uns zu. Malerei wird zum dreidimensionalen Ereignis, zur Illusion auf der Fläche, unterstützt durch die Perspektive im Gegenüber oder schräg von oben, innig empfunden als ein Nacherleben, das mit sorgfältiger Organisation einher geht. In ihrer Ausschließlichkeit und Geklärtheit zumal im einheitlichen Farbraum erhalten derartige Vorgänge das Künstliche von Maschinen und im schier Surrealen etwas Aseptisches und Monströses – und dabei ist alles doch ganz einfach.
Antonia Rodrian wurde 1989 in Essen geboren; sie hat an der Kunstakademie Düsseldorf in der Malklasse von Andreas Schulze studiert. Etwa zeitgleich waren Antonia Freisburger und Pia Krajewski ihre Kommilitoninnen. 2017 haben die drei Künstlerinnen ein Atelier an der Birkenstraße bezogen, in dessen Vorderraum und in der Vitrine zur Straße hin sie außerdem – unter dem Label „sonneundsolche“ – seither Ausstellungen kuratiert haben. Anfangs stammten die eingeladenen Künstler und Künstlerinnen aus dem Umfeld der Kunstakademie, danach auch aus anderen Kontexten und von überall her. Pia Krajewski selbst ist mittlerweile nach Berlin gezogen, so dass Freisburger und Rodrian sich nun das Atelier teilen.
In der aktuellen Ausstellung der drei Malerinnen im KIT zeigt Antonia Rodrin neue Bilder, die an die bisherigen Sujets und deren Handlungsabläufe anschließen, diese wiederholen und dann eben doch abweichen und so auf das subtil vielschichtige Potential der Dinge in ihrer Konfrontation hinweisen. Ein Bild führt dabei zum nächsten, wie verschiedene Episoden etwa, welche sich erst zusammen in ihrer Komplexität erklären. Und dann stellt man die Abweichungen fest: Dass sich etwa mehr Finger im Bild befinden als einer Hand zuzuordnen sind oder dass es mehr linke als rechte Hände sind. Dass sich hier nebenbei Szenen der tastenden, einander vergegenwärtigenden Kommunikation einstellen, eines Miteinander, das umso mehr auf das unsichtbare Geschehen jenseits der Bildränder verweist. Einsam jedenfalls ist es in keinem dieser Bilder. Und wie komplex ist doch unser Handeln selbst im Alltäglichen, dem wir uns unbewusst widmen. Mit denkbar größter Ökonomie und Gespür für die Nuance des Körperlichen und seiner Präsenz verortet Antonia Rodrian das Private im Kollektiven und umgekehrt, gesehen wie unter der Lupe: Wie abwesend im Tun sind wir doch anwesend.
I‘ve Got You – Antonia Freisburger, Pia Krajewski, Antonia Rodrian,
bis 4. Februar im KIT, Manesmannufer 1b, www.kunst-im-tunnel.de
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