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160 x 120 cm, Öl auf Leinwand

„Kunst-Stücke“ Anna Schlüters Blick auf

„TYPEFACE: K“, 2022 von Hyeju Lee

Welche Irritation! Das Gemälde mit Frauenkopf mag manchem vertraut sein. Es ist eines der berühmten Bildnisse der französischen Malerin Berthe Morisot, die Edouard Manet um 1870 porträtierte. Anstatt des Frauenkopfes tritt hier der Buch­stabe „K“ in roter Frakturschrift signalhaft hervor. Der übersetzte Bildtitel „Schriftart: K“ weckt den Gedanken, dass die Angabe einer Schriftart die Wahl eines bewusst relativen Darstel­lungs­­modus anzeigt. Das Gemälde mutet wie ein Bilderrätsel an, und die Lösung liegt nicht gleich auf der Hand.

Manets Porträt der Malerin mit ihrem gedankenverlorenen Blick und ihrer entspannten Körperhaltung lädt die Betrachtenden ein, die Verfassung der Dar­ge­stellten in sich selbst nachzuvollziehen. Jeder kennt das Innehalten und den Moment nicht zu Ende gedachter Gedanken. Ein Fächer liegt vergessen in ihrer rechten Hand, ein Tüchlein neben der linken. Ein im Sujet undefiniertes Gemälde hängt gerahmt über dem Sofa und integriert sich wie ein gängiges Element bürgerlicher Einrichtung. Es vermittelt keine Botschaft, und es beschäftigt die Malerin auch gar nicht. Sie scheint ganz bei sich und ihren Gedanken zu sein.

Hyeju Lee hat das Gemälde von Manet nicht minutiös, aber zur Identifikation eindeutig genug wiedergegeben. Der Buchstabe „K“ und der Bildtitel bieten sich hart­näckig als Schlüssel zu einer spezifischen Bildaussage an. Frakturschrift, vor allem in Deutschland verbreitet, gehört zu den „gebrochenen Schriften“, d.h. die Bögen der Buchstaben sind durch sichtbare Knicke charakterisiert, die aus abrupten Richtungswechseln in einer Schreibbewegung entstehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob „K“ in Frakturschrift auf die Künstlerin selbst verweisen könnte, denn sie ist von Korea nach Deutschland umgesiedelt. Ein Bruch. Ein Rich­tungs­wechsel. Für sie änderten sich nicht nur die Schriftart, sondern das Schrift­system und die gesamte kulturelle Umgebung. Haben wir es mit einem Selbst­­porträt zu tun, in dem Hyeju Lee ihr Dasein als Malerin vor dem Hintergrund eines elementaren Kulturbruchs reflektiert? „K“ könnte analog zur Position des Buchstabens in der alphabetischen Reihenfolge eine Chiffre für Lees spezifischen Platz innerhalb einer neuen Ordnung sein, ihre Verortung in der westlich orientierten Kunstgeschichte. Frakturschrift und Manets Gemälde ge­­hören einer vergangenen Zeit an. Sinniert sie über die zeitgebundene Relativität ihres Selbstbildes als Künst­lerin? Die Chiffre als Repräsentantin des Kopfes bietet Deu­tungsmöglichkeiten an, vermeidet aber jegliche Festschreibung.

@hyeheyju_lee

Anna Schlüter

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