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Anys Reimann
© Foto Uwe Kraft

Anys Reimann

Vielstimmig im einen

Der „Bilker Bunker“ ist für diese Ausstellung und ihre Werke wie prädestiniert: mit der expliziten Sichtbarkeit im Stadtbild, der Rauheit der Wände und den Durchbrüchen, welche die Zusammenhänge einer durchgehenden Erzählung in Kapiteln aufscheinen lassen, und seiner ursprünglichen Funktion des Schützens und Bewahrens, also auch mit der Geschichtlichkeit und den Geschichten, die hier aufbewahrt, verdrängt und unvergessen sind. Anys Reimann ist Bildhauerin, Collagen-Künstlerin und Malerin. In Bilk zeigt sie jetzt einen Überblick über das Werk der jüngsten Zeit und setzt dabei konsequent die Themen und die Anliegen fort, mit denen sie seit einigen Jahren höchste Anerkennung erfährt. Sie setzt sich mit ihrem Werk für Gleichberechtigung und Diversität ein, sie hinterfragt Geschlecht und kulturelle Klassifizierung und löst sich von Stereotypen und sucht nach Identität und Individualität. Sie dekonstruiert vorgefundene Strukturen und Kli­schees und setzt die Splitter neu in Richtung auf Einzigartigkeit zusammen, und zwar durchaus wortwörtlich, indem ihr vorrangiges Verfahren die Collage ist. Das trifft schon zu im Verweben unterschiedlicher Anspielungen und Zitate aus dem Alltag, der eigenen Biographie, der Kunstgeschichte, Mythologie, Zeitgeschichte, feministischer Theorie und Popkultur. Entsprechend verwendet sie das fotografische Material von Gesichtern und Körperteilen besonders aus Printmedien von Idolen, die verschiedene Hautfarben besitzen, deren Partien sie auf dem Bildträger collagiert. „Ich bin weiß und schwarz, also verwende ich verschieden farbige Körperteile“, sagt Anys Reimann lakonisch (Interview visitduesseldorf.de, 6.9.2024). Und an anderer Stelle hat sie betont, worum es ihr geht, was sie herausarbeiten möchte: „Körper-Sein, Mensch-Sein, Frau-Sein, Individuum-Sein“ (facebook Video, K20 Kunstsammlung NRW, August 2024).

Die Bilder, mit denen sich Anys Reimann etabliert hat und die nun auch in Bilk und in der Kunstsammlung NRW zu sehen sind, zeigen eine Schwarze Frau zentriert und dominant im Bildfeld, als Collage zügig übermalt und dadurch auf einer Ebene mit dem dunklen Hintergrund. Die Frauen entstammen unserer Zeit. Sie haben Afro­haare, die aufgeklebten Münder mit den roten Lippen sind unterschiedlich geöffnet und gehen noch in einen Farbfluss über, die Fingernägel sind mitunter rot lackiert, vereinzelt halten sie eine Zigarette. Mitunter scheinen sie nach vorne zu drängen, etwa als Büste oder Ganzfigur mit ihren übereinander geschlagenen Beinen oder den Füßen und Schuhen, wobei die Leiblichkeit noch betont wird. Jede dieser Frauen nimmt eine andere, eigene Pose ein, erfühlt das Bildformat und wendet sich zugleich, teils in Torsion ihrem Publikum zu: Ein sensibles Körpergefühl geht mit der Dynamik leiblicher Präsenz einher. Die Frauen artikulieren Vereinzelung oder Schmerz, aber auch Widerstand und kritische Aufmerksamkeit und engagierten Einsatz. Selbstbestimmtheit und Stolz treffen sich mit aufbrausender Angriffslust. Sie sind emotional und dann wieder introvertiert. Die Mimik ist ausdrucksstark und mitunter wirken die collagierten Gesichter wie eine Maske. Sie „verführen mit Angedeutetem auf falsche Fährten und sind sexy“, hat Thomas Grünfeld geschrieben. Die verschiedenen Posen des Sitzens weisen zugleich auf die skulpturale Bewusstheit von Anys Reimann. Vor allem tragen sie Plateau-Schuhe, als Symbol für Selbstbestimmtheit, schon indem sie in diesen wie auf einem Sockel erhöht sind. Die Plateau-Schuhe entstammen den 1970er Jahren (in denen Anys Reimann aufgewachsen ist), wo sie über das Erstaunliche und den Disco-Hype hinaus Kennzeichen der queeren Community waren und den Widerstand gegen Konventionen formulierten.

„BIG IT“ (2024) ist die riesige, dem Blick ausgelieferte, aber auch dominierende, über den Köpfen schwebende weibliche Figur im Innenhof des Bunkers betitelt. Sie entzieht sich der Vereinnahmung. In der Körperhaltung zwischen sinnlich lockend, versonnen und selbstbewusster Wachheit, ist das (anonym gehaltene) Haupt aufgerichtet, der eine Arm ist in die Seite, der andere anziehend auf die Hüfte gelegt und gewiss klingt Botticelli als Referenz an, ebenso wie die Figuren von Niki de Saint Phalle. Sie ist Topos für die archaisch elementare Frauengestalt, die Schöp­fung in der Geburt sowie Eros vereint. Die Nähte, welche die Polyesterflächen der pneumatischen Skulptur zusammenhalten, weisen auf die Komplexität des Zusam­mengesetzten, welches ihre Bildcollagen mit den teils sichtbaren scharfen Schnitten kennzeichnet. Und sie betonen das Interesse an der Oberfläche selbst, an Haut, ihrem gespannten Volumen und der Stofflichkeit. In ihren Plastiken und auf Bildtafeln forscht Anys Reimann der Ausdrucksstärke, dem Austausch von Innen und Außen, Psyche und Physis und dem Bedeutungsspektrum von Inkarnat nach. Sie überzieht Holztafeln mit Leder und collagiert auf den Flächen teils weiter. Sie verwendet gepolsterte Drehstühle und arbeitet bei ihren Objekten mit Velourleder, Glattleder und mit Fell und weist impliziert auf den Gebrauch, die Verwendung hin. Unterschwellig schwingt die Frage nach der Herkunft des Leders und dem Kolonialen der Jagd mit.

Eine derart verführerische Taktilität kennzeichnet die Objekte aus Bälgern, die wie Häupter oder die Früchte eines Baumes – als Installation unter dem Titel „Strange Fruit“ – mit unterschiedlichen Ketten und Seilen mit Knoten, ja Fesselungen von der Decke hängen, mit all dem vom Menschen und Kreatürlichem handeln und ein weites Themenspektrum zwischen Gewalt, Bedrohung, Verkleidung und Schutz ansprechen, Materialität analysieren und Zeitgeschichte in sich tragen. Und zugleich den Raum aktivieren und den Betrach­­ter weiter zum Teil des Werkes werden lassen. Es betrifft auch, ein paar Schritte weiter, das Gegenüber des monumentalen dreiteiligen Bildes „Paradise Lost“, welches ein Zusammenfallen und Vermi­schen tradierter Vorstellungen bildhaft erzählerisch schildert. Die nackte Frau im Vordergrund scheint die Szenerie zu träumen. Etliche der Figuren im unteren Bereich sind kopfstehend in den changierenden Grund eingebettet. Es gibt kein Oben und kein Unten, aber das Bild ist dualistisch angelegt. Den fluid kosmischen Raum besetzen Menschen, Tiere und Pflanzen, Totenschädel und Mythen­gestalten – hier finden sich die Figuren und Torsionen der Bildcollagen wieder. Pink und ein flammendes Gelb sowie ein Wolkenhimmel, durch den das Licht bricht, erhellen das Schwarz. Die tradierten Gottheiten und Mythen tragen gleichnishaft Geschichte und schaffen Identität, vermitteln aber auch Vorurteile. Sie weisen Geschlechter und Geschlechter­rol­len zu. Ikarus bleibt ein Mann, aber der Zentaur in diesem Bild ist eine Frau, darüber, dazwischen schweben Lebewesen, Insekten und das zarteste von allen sprengt am Bildrand das Format … Wie passend, dass kurz zuvor im Erdgeschoss eine Libelle vor dem Aluminiumguss eines Hoodies schweb-zitterte. Die silberfarbene Wandskulptur dieses Kleidungsstücks wirkt mit ihren ausgebreiteten Armen wie eingefroren. Sie signalisiert Gruppen­­zugehörigkeit, Außen­seitertum und Selbstverwirklichung.

Dass Anys Reimann auch den Rückzugsraum – und zwar am Ende der Ausstellung – bedacht hat und ihn im Garten sieht, sei nur kurz erwähnt. Im Gegensatz zu dem saftigen Grün bei ihrer Beteiligung an der thematischen Ausstellung „Attempts to be many“ 2021 bei Philara in Flingern sind die Pflanzen, Blüten nun überwiegend schwarz und glänzen, reflektieren, gesättigt aus der biographischen Erfahrung. Sie würdigen, in Verbindung u.a. mit Möbelstücken, den paradiesischen Garten des Schriftstellers James Baldwin in Saint-Paul-de-Vence, der, vor 100 Jahren geboren, schon früh Rassismus und Homophobie angeklagt hat, und den Hinterhof der Großmutter, in dem sie als Kind viel Zeit verbracht hat.

Anys Reimann wurde 1965 als Tochter einer Deutschen und eines Westafrikaners geboren. Sie ist im Ruhrgebiet und dann in Düsseldorf aufgewachsen. Nach Tätig­keiten und Ausbildungen als Maskenbildnerin, Schreinerin und Möbel­restauratorin hat sie zunächst Innenarchitektur studiert. Erst später macht sie das, was sie schon immer wollte: Sie studiert Kunst, und zwar an der Kunstakademie Düsseldorf in den Klassen von Thomas Grünfeld und Ellen Gallagher. In einem Alter, in dem für andere die Karriere bereits ausläuft, beginnt sie mit all ihrer Erfahrung, mit Erfolg. Ihre Werke sind derzeit unter anderem in den Sammlungspräsentationen im Kunst­museum Mülheim, der Kunsthalle Mannheim und der Staatsgalerie Stutt­gart zu sehen. Ihre Beiträge in der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz gehen darüber hinaus. Dort konnte sie zu ihren beiden Bildern „Black Plateau II“ (2022) und „Sitting Belle“ (2022) weitere Werke für die gemeinsame Ausstellung aussuchen. Sie hat sich für zwei Gemälde von Picasso entschieden: die beiden realistisch gemalten, blockhaft leiblichen, dabei in zärtlicher Geste zugewandten sitzenden Frauenakte (1920) und den organisch kubischen, radikal abstrahierten sitzenden Akt (1944). Außerdem für die im tiefdunklen Raumausschnitt verhuschte, dabei extrovertiert die Glieder ausstreckende, halb zugewandte „Lying Figure No. 3“ (1959) von Francis Bacon, und es ist anregend, wie kongenial sich diese Bilder mit denen von Anys Reimann ergänzen. Daneben steht an der Wand ein zeilig gesetzter Text, der, auf ihrer Homepage auf Englisch zu lesen, als Bekenntnis auftritt. Er ist wie all die Malerei-Collagen im Grunde ein Selbstporträt und zugleich ein vielschichtiges, kollektives Porträt: „Eine Frau / / bin du / bin nicht das A und O / … / ich bin xx, / bin Frau / / Anys Reimann“.

Anys Reimann – „Dark Star Backyard“,
bis 8.1. im Bilker Bunker, Aachener Str. 39.

Außerdem ist Anys Reimann in Düsseldorf beteiligt bei der Ausstellung der Förderpreisträger*innen 2022/2023 im KIT, 28.9.-10.11., sowie bei den Neupräsentationen in K20 Kunstsammlung NRW und im Kunstpalast.

TH

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