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© Foto: Ivo Faber / © Werke: Theresa Weber

Theresa Weber

Identität und Identitäten

Ein Strömen durchzieht das große, dreiteilige Gemälde „Cartography of an archipelago“ (2024), das Theresa Weber im KIT am Mannesmannufer zeigt. Auf jeder der Tafeln ballen sich pastos aufgetragene, parallel gezogene Bahnen zu kreisenden Binnenformen zusammen, die sich auf dem blauen Grund wie ein Tempel in die Höhe schichten, figürlich anmutende Detailstrukturen evozieren und horizontal miteinander verbunden sind. Und dann tritt man als Betrachter, angezogen vom Sog der Bewegung, näher und sieht in den Zentren derartiger, eigentlich ornamentaler Ereignisse einzelne Illustrationen aus Buchseiten appliziert, die in ihrer Feinheit an Kupferstiche erinnern. Der Realismus der Detailschilderungen, die aus der Nahsicht oft kriegerisch und brutal sind, dokumentiert historische Ereignisse. Sie beziehen sich auf die Französische Revolution und vor allem, in der Folge davon, den Sklavenaufstand und Bürgerkrieg auf Saint-Domingue (dem späteren Haiti), der sich gegen die französischen Kolonialherrscher richtete und 1791 mit der Befreiung zur Unabhängigkeit endete. - Ein Leitthema des Werkes von Theresa Weber überhaupt ist die Auseinandersetzung, Verdeutlichung von Kolonialismus und seinen Folgen. Übergeordnet geht es um den Respekt für jeden Menschen und gegenüber dem Leben und der Natur, zu Zeiten der Französischen Revolution im Sinne von Rousseau: die Freiheit und Gleichheit aller Menschen.

Theresa Weber wurde 1996 in Düsseldorf geboren und ist dort aufgewachsen. Ihre Mutter stammt aus Jamaika, die Familie reist bis heute regelmäßig dorthin. Als deutsche Künstlerin verstehe sie sich als Teil der karibischen Diaspora, hat sie in einem Interview gesagt. An der Düsseldorfer Kunstakademie hat Weber Malerei bei Katharina Grosse und Ellen Gallagher studiert und bei dieser 2021 als Meisterschülerin abgeschlossen. Anschließend wurde sie mit einem zweijährigen Postgraduiertenstudium – im Fachbereich Skulptur – am Royal College of Art in London ausgezeichnet. Derzeit lebt sie, parallel zu Düsseldorf, in Berlin. Das Atelier im Martin Gropius Bau ist Teil eines Arbeitsstipendiums zur Vorbereitung ihrer neuen Werke als Beitrag zur Dekoloniale.

Mit ihren Bildern, den monumentalen Wall Papers und den Installationen und Environments – für die die Verfahren der Collage von Ready-mades und Objets trouvés grundlegend sind –, aber auch mit Performances hat Theresa Weber in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Bereits 2021 fand ihre erste institutionelle Schau im Kunstverein Dortmund statt. Vor einigen Wochen nun ist ihre erste Einzelausstellung in einem Museum zu Ende gegangen, unter dem Titel „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum. Der Ausstellungstitel verstand sich nicht nur als Hinweis auf Undurchdringliches und Unbegreifliches und mithin die Ent­stehung und den heutigen Zustand der Welt, sondern er impliziert auch, wie Theresa Weber in ihrer Kunst vorgeht, Komplexes mit Komplexität erfüllt und zu­­gleich Ordnungen herstellt und die dahinterstehenden Systeme freilegt. In ihre Bilder, auch Reliefs und Stoffsäulen flechtet sie Perlen, Korallen oder synthetisches Haar und farbige künstliche Fingernägel ein oder umgibt sie, als konservierende und exponierende Haut, mit transparenten Schichten aus Polyesterharz. Auch integriert sie von Mal zu Mal Zeichnungen, Fotografien und Drucke, die die Dar­stellung narrativ und dokumentarisch aufladen: Sie zeigen neben konkreten historischen Ereignissen und Übergriffen aus der Kolonialgeschichte Darstellungen mytho­­logischer Überlie­fe­rungen und untergegangener Kulturen. In ihrer Klein­tei­ligkeit und der assoziativen Platzierung füllen sie die Bildfläche, lassen an Land­karten denken und erinnern an Mosaike. Die großen, erzählerisch und detailreich überbordenden Tafeln, die frei im Raum hängen können oder aufgebockt sind, enthalten so Verweise auf Ethnien, kulturelle Diversität, Achtsamkeit der Natur gegenüber und dass hinter aller vordergründigen Schönheit und Ordnung Auf­wühlung und eine fragile Zuständlichkeit einer Welt voller Ungerechtigkeiten steht.

Im Kunstmuseum Bochum hingen von ganz oben neben der Besucher-Rampe dicke Seile mit volumenhaften Knoten, die wie vegetative Flechten vernetzt waren. Von Stockwerk zu Stockwerk, zum Greifen nahe und auf Augenhöhe, traten hier eigene, ausdifferenzierte Sequenzen in den Vordergrund. Sie widmeten sich vier urzeitlichen Göttinnen aus Mesopotamien, Indien, Griechenland, Yoruba, die Schöp­fungs­mythen repräsentieren. Wie sehr es Theresa Weber dabei um die hybride Identität und das Zusammenwirken unterschiedlicher Kulturen und die Entstehung der Welt aus den Narrativen der Mythologien geht, zeigt sich noch in früheren Werken aus dieser Werkgruppe. Eine dieser Referenzen ist die mesopotamische Gottheit Ishtar, für die sie vom gleichnamigen Tor im Berliner Pergamonmuseum und Jean-Michel Basquiats dreiteiligem Gemälde „Ishtar“ (1983) beeindruckt ist. Ausgehend von der höchst ambivalenten mythologischen Gottheit der Liebe und des Krieges in der Verkörperung als Frau oder als Mann, lassen sich Fragen von Herkunft und Rasse, dem Fluiden von Geschlecht und von Identität und Identitäten, Feminismus, Selbst­verwirklichung und Hybridität erörtern. Im Ludwig Form in Aachen konnte Theresa Weber 2021 dialogisch zu Basquiats Gemälde ihre drei „Ishtar-Altäre“ – auf Metallgestellen flach liegende blauschimmernde Polyester­harz-Platten, in die „Woven Memories“ wie Haarteile, Löwenbilder, Perlen eingegossen sind – ausstellen. Noch im gleichen Jahr zeigte sie „Ishtar Altäre / Ishtar Wall“ in der Sammlung Philara in Flingern. Davor schwebten, auf unterschiedlicher Höhe von der Decke abhängend und sozusagen durch Perlenketten miteinander verbunden, transparente Stoffe und kleinere Kunstharzteile, eingewoben auch hier Relikte und autobiographische Erinnerungsstücke und Abgüsse des Körpers, der in seiner Auto­nomie und Verbundenheit mit Geschichte und Gesellschaft thematisiert wurde …

Wie sehr in der Kunst von Theresa Weber alles miteinander interagiert, zeigt eine kleine unspektakuläre Textzeichnung, die in Bochum unspektakulär am Eingang hing. Sie enthielt ihre zentralen Begriffe, Topoi und Assoziationen und signalisierte, wie alles mit allem – teils über Umwege – miteinander interagiert und sich allmählich der Radius der Ausdrucksformen erweitert. Im Zentrum aber steht der Name von Èdouard Glissant (1928 Martinique – 2011 Paris), der als Philosoph und Autor der französischsprachigen Karibik postkoloniale Identität thematisiert hat. Theresa Weber erwähnt besonders sein Buch „Kultur und Identität – Ansätze zu einer Poetik der Vielheit“.

Im Kunstmuseum Bochum fügte sich alles zu einem dicht gefüllten Saal zusammen, der an den Kosmos ebenso wie an die Tiefsee und intuitiv an Ein- und Ausatmen und Eintauchen denken ließ, geheimnisvoll und unvorhersehbar war. „Der Cosmos – eine unendliche Dunkelheit, ein Raum der nicht komplett verstanden werden kann, es geht um die Schönheit des Unbekannten, ein Symbol für zirkuläre Zeit, Schwarz als Ursprung allen Lebens, Hoffnung, Mythologie, Unendlichkeit und Chaos – in der Chaos-Theorie sind neue Anordnungen unvorhersehbar, aber nie zufällig“, schreibt Theresa Weber im Faltblatt in Bochum. Das leitete zum abschließenden, etwas geschützten und verdunkelten Raum im Erdgeschoß. Flankiert von Gliederwesen, die zwischen Tiefseetieren oder Figuren der Laterna Magica oszillierten, war dort die filmische Dokumentation einer (Lese-) Performance zu erleben. Ausgehend von Beethoven, seiner „Mondscheinsonate“ und der Diskussion um eine afrikanische Abstammung trug Theresa Weber einen assoziativen Gedankenstrom vor, in dem sich die Worte und Sätze formen, wiederkehren und aneinander reiben, das Körperbewusstsein verstärken und in all dem konzentriert und voller Empathie für das Leben sind.

An all das schließt nun das zweite Werk im KIT an: ein Ensemble aus Stoffsäulen, die von der Decke hängen und in ihrem Farbton mit dem Bild an der Wand korrespondieren. Dabei handelt es sich um das Indigoblau, das als Kostbarkeit aus Indien stammt und in der Antike nach Europa exportiert wurde. Dahinter steht die koloniale Vereinnahmung mitsamt der späteren Kommerzialisierung durch die künstliche Erzeugung, primär für die Färbung von Kleidung. So wie Theresa Weber die Stoffe gerafft oder mit Knoten barock verdichtet hat und dann wieder frei fließen lässt, erinnert sie an Kostüme des karibischen Karnevals, an Blütenkelche und Blattwerk aus dem Urwald. Zugleich lassen einzelne der Abschnitte an Säckchen für Heilkräuter denken oder an Perlen. Und auch hier findet sich das Kontinuum des Strömens als ein mentaler Zustand zwischen An- und Abwesenheit, der unmittelbar die Existenz des Menschen anspricht und im nächsten Schritt auf eine sehr feine, zurückhaltende Weise den schonenden Umgang mit der Schöpfung als Thema anbietet, das Mythologie (als Ursprung von Geschichte) und historische Ereignisse einbezieht und weiter zu Fragen der Herkunft und des Geschlechts und der Identität leitet.

Theresa Weber ist beteiligt bei “… and we live by the river” – Die Förder­preis­träger*innen der Stadt Düsseldorf 2022/2023, bis 10. November im KIT, außerdem im Rahmen der Dekoloniale in der Nikolaikirche und im Dekoloniale-Projektraum in der Wilhelmstrasse in Berlin; Eröffnung ist am 14. November.

TH

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