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© Foto: Anna Tiessen

Ari Benjamin Meyers

Die Wirkung von Gesang

Auch das vermag Kunst: Sie bringt Menschen zusammen. Sie wirkt zugewandt und kommunikativ und fördert den Austausch und das Ver­stehen verschiedener Interessen, Aktivitäten und unbekannter Terrains. Genau das konnte man bei der Eröffnung der Ausstellung von Ari Benjamin Meyers im Museum Abteiberg in Mönchengladbach erleben, als sich das Matinee-Publikum mit den Hardcore-Fußballfans aus der Nordkurve von Borussia Mönchengladbach freundschaftlich mischte. Verbindend war der weiße Schal, den viele der Besucher*innen trugen, auf dem wechselnd in Schwarz-Weiß auf der einen Seite „Hymnus Mönchen­gladbach“ und auf der anderen eine Musiknotation mit dem Text „Wir sind die Elf von Mönchengladbach! Ja“ zu lesen war.

Der Schal als traditioneller Teil der Fankultur im Stadion, der den „eig­ent­lichen“ künstlerischen Beitrag von Ari Benjamin Meyers – die Kom­po­­sition eines Fange­sangs für Borussia Mönchengladbach – in eine „physische“ Form überträgt und zuvor an einem Spieltag in der Nord­kurve verteilt, also als Anweisung zum Gesang dort infiltriert wurde, bildete ein weiteres Element der Ausstellung, die ausgehend vom akustischen Erleben eine Vielzahl visueller Angebote bereithält. Dazu stellten sich bei der Vernissage spontane Aktionen und Ideen ein: das Stehen der Fußball­fans vor „ihrem“ jeweiligen Leuchtkasten, auf dem sie in der gleichen Fankleidung zu sehen sind; das gemeinsame Singen sowie das Skandieren des Künstlernamens, initiiert durch den Stadionsprecher Torsten Knippertz. Und später warf die Museumsleiterin Susanne Titz die Frage auf, ob der Vortragssaal im Museum Abteiberg deshalb in einem grünen Ton gefasst sei, weil Grün die Farbe der Borussia ist. - In vielerlei Hinsicht erinnert Meyers‘ Konzept an Happening und Fluxus (in Mönchengladbach übrigens an einem institutionellen Ort, der genau diese Disziplinen erforscht), es vermischt spielerisch die Sphären von Alltag und Kunst und geht unter die Menschen. Hier nun hat Meyers an sieben Orten mit kleineren Fangruppen einzelne Fan-Gesänge sowie seine Hymne einstudiert und aufgenommen, so dass sie dort über einen QR-Code zu hören sind. Neben dem Museum und dem Stadion sind das Haus Westland, der Borussia-Park, das Alte Polizeipräsidium, die Grabeskirche St. Josef und die Kaiser-Friedrich-Halle, die eine unterschiedliche Aura besitzen, Geschichte und Gegenwart von Mönchen­gladbach repräsentieren und zusammen geographisch die Stadt vermessen. „Hymnus (Fankurve)“ ist „Act III“ seines Projektes, das vor zweieinhalb Jahren begann. „Act I“ fand als Performance-Abend im Skulpturen­garten neben dem Museum statt. „Act II“ war die (visuell und akustisch erfahrbare) Live-Aufführung von moderner und zeitgenössischer Musik im Museum über einen Zeitraum von sieben Wochen. Mit „Act III“ hat sich das Projekt in die Stadt­gesell­schaft gemischt und deren Sound aufgegriffen – und kehrt wieder in das Museum zurück. Und bleibt widerspenstig. Ari Benjamin Meyers „Hymnus“ ist nicht eingängig, nicht melodisch und ist auch nicht „klassisch“ abstrakt. Anstatt der Zwölftontechnik wählt er ein 11-Ton-Verfahren, das leicht disharmonisch quer klingt. Und entgegen aller Erwartungen an einen Fangesang wird der Hymnus – also ein Feier- und Lobgesang – gerade nicht laut, sondern fast im Flüsterton vorgetragen.

In der Ausstellung im Museum Abteiberg sind Fotografien der Fangrup­pen vor „ihrem“ Ort, geprinted auf sieben Leuchtkästen, zu sehen. Die Fans, die unterschiedlichen Geschlechtern, Generationen, Berufs­gruppen angehören, aber immer den Bezug zu Mönchengladbach aufweisen, stehen eng zusammen. Die Aufnahmen stammen von der Fotografin Anna Tiessen. Auf jedem der sieben Leuchtkästen ist ein Gedicht von Evan Hugo Tepest aufgetragen. Grundlage der elfzeiligen Texte sind die Mönchengladbacher Fangesänge. Die Gesänge selbst – neben dem Hymnus etablierte Songs – sind über Kopfhörer zu hören. Aber in kurzen Intervallen schallen sie auch durch den Ausstellungs­raum.

Der Region ist Ari Benjamin Meyers durch häufige Aufenthalte verbunden, durch seine Teilnahme an den Urbanen Künsten Ruhr 2021 und an einer Gruppenausstellung 2024 im Museum Schloss Moyland. Seit dem Wintersemester 2024 unterrichtet er – als Vertretung von Dominique Gonzalez-Foerster – als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Von Haus aus ist er Musiker und Komponist. Geboren 1972 in New York, hat er Komposition und Dirigieren an der dortigen Julliard School sowie der Yale University und am Peabody Institute in Baltimore studiert. Seit den späten 1990er Jahren lebt er in Berlin. Erst mit Verzögerung hat er sich, neben der klassischen Musikausübung, der bildenden Kunst zugewandt bzw. er überführt die Musik in verschiedene Projekte im Kunst­bereich. Das begann mit Kollaborationen und Mitwirkungen bei Künstlern wie Anri Sala, Dominique Gonzalez-Foerster oder Tino Sehgal und führt längst zu eigenen Ausstellungen und Projekten im institutionellen Kontext. Musik bleibt der Ausgangspunkt, wobei er Aspekte wie ihre Historizität und Gegenwart, ihre sozialen und kollektiven Kompo­nenten, die Aufführungspraxis, den Kontext des Einsatzes und damit das jeweilige Genre befragt und die Musikstücke aus diesen löst. Das betrifft ebenso U-Musik wie etwa Schlaflieder für den Steirischen Herbst in Graz oder jetzt die Fangesänge. Seine Handschrift liegt in der Haltung, vermittelt über das Medium Musik, das selbst zeitbasiert und ephemer ist, und vorgetragen als Handlung.

Was passiert, wenn man die adressierte Musik aus ihrem Kontext nimmt? „Auf einmal nimmt man das ganz anders wahr“, sagt Meyers. Und dann sieht man klarer, was der Kern eines Liedes ist, „dass es funktioniert“. Und was uns in Deutschland vertraut ist, konnte Meyers, der mehrere Spiele im Stadion am Bökelberg besucht hat, erst jetzt und dadurch mit einer gewissen Distanz und analytischen Neugierde erleben: In den USA gäbe es derartige Fangesänge gar nicht. Das Thema selbst habe sich dann aus der Frage entwickelt, was Mönchengladbach auszeichnet, seine Identität ist und dass hier der Fußball die Bevölkerung vereint – was die Frage aufwirft, was Gemeinschaft ausmacht und wie dies im Stadtbild zum Ausdruck kommt. Fußball ist Volkssport und Borussia Mönchengladbach, die sog. Fohlenelf hat 100.000 Mitglieder*in­nen und besitzt in Deutschland 1.000 Fanclubs. 40.000 und mehr Besucher*innen kommen zu den Heimspielen zusammen. Im Stadtbild omnipräsent, ist die Borussia ein bedeutender Wirtschaftsfaktor – also, Ari Benjamin Meyers hat sich einem relevanten Faktor im sozialen Leben der Stadt und in Deutschland zugewandt.

Fangesänge folgen – als ganz eigenes Kapitel der Musikgeschichte – spezifischen Strukturen und Regeln ihrer Aufführung: Wie sie ablaufen, wie sie sich durchsetzen (so kann es zehn bis fünfzehn Jahre dauern, bis ein Fangesang sich etabliert und gemeinsam gesungen wird), wie sie – wie eine Oper – einer Choreographie unterliegen. Dazu einer Regie folgen, wann sie wie gesungen werden, also wer sie anstimmen darf und wie sie von den Einpeitschern in den Fanblocks regelrecht dirigiert werden. Und dass daraus ein rituelles System erwächst, das es wie ethnologische Prozesse zu erforschen gilt. Fangesänge werden je nach Spielentwicklung eingesetzt. Und dann treiben sie die eigene Mannschaft wie eine Wand nach vorne, „schweißen“ die Spieler und das Publikum zusammen. Fußball und das gemeinsame Erleben im Stadion ist soziales Interagieren. Die Energie, die die Nordkurve im vollbesetzten Bökelberg-Stadion erzeugt und freisetzt: die immateriell entsteht, physisch wird und wie ein Orkan auf dem Spielfeld ankommt, ist das eigentliche Kunstwerk dieser sinnlich intensiven Ausstellung, drinnen und draußen.

Ari Benjamin Meyers: Hymnus (Fankurve), bis 23. Februar im Museum Abteiberg in Mönchengladbach, Di-Fr 11-17, Sa, So 11-18 Uhr

www-museum-abteiberg.de

TH

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