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Siegfried Anzinger – Geronimo, bis 30. März im Museum Küppersmühle im Innenhafen Duisburg, www.museum-kueppersmuehle.de
Foto: Thomas Hirsch

Siegfried Anzinger

Mit der Figur

Ich bin leidenschaftlicher Figurenmaler, sagt Siegfried Anzinger. Mit der Figur – ihrer Präsenz im Bildformat, ihrer prototypischen Zuordnung, als Sujet, das in Hand­lungen verwickelt ist oder jedenfalls ihren Erzählungen verbunden ist – hat sich alles in seinem malerischen und zeichnerischen Werk entwickelt, von Anfang an und konstant bis heute. Zunächst wurde er zu den Künstlern und Künstlerinnen gerechnet, die unter die Label der Neuen Figuration, der Jungen Wilden oder des Neoexpressionismus subsummiert werden: In diesem Kontext wurde er schlagartig bekannt, mit seinen Teilnahmen 1982 an der documenta 7 in Kassel und „Zeitgeist“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Schon in den Jahren davor hatte sich Anzinger als einer der wichtigsten Maler seiner Generation etabliert. Geboren 1953 in Weyer/Steyr in Oberösterreich, hat er 1971 bis 1976 an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert, seine Ausstellungen setzen in rasanter Folge im Jahr seines Abschlusses ein; 1981 wird er in die Landesgalerie Graz zu „Neue Malerei in Öster­reich“ eingeladen und er wird in einem Atemzug mit – den ganz anders malenden – Erwin Bohatsch und Hubert Schmalix genannt. Anzinger malt in diesen Jahren auf großen Formaten ausgreifend gestisch in überwiegend erdigen Tönen. Er vertreibt die Farben dynamisch oder schichtet sie zu dichten Flächen. Er trägt die Figur – über die ganze Höhe, bilddominant – mit breiten Konturen auf der reinen Farb­materie auf und hebt sie noch farblich von dieser ab. Figur und Grund interagieren, das Bildgeschehen ist austariert und sogar auf Symmetrieachsen hin angelegt, dabei bleibt die Figur dieser Bilder gleichzeitig skizzenhaft und körperlich, kraftvoll bewegt, eindeutig und doch verzerrt. Die Titel dazu: „Mann mit Schildkröte“ (1981), „Todesengel/Roter Schädel“ (1982), „Kopfjäger“ (1982), „Der Geschlitzte“ (1984). Vom Farbschlamm oder „Farbschwemmen“ (Robert Fleck) ist in den Rezen­sionen die Rede und dass sich Anzinger mit dieser Malerei in der Nachfolge des österreichischen Expressionismus mit Richard Gerstl und Oskar Kokoschka und den frühen Figurengruppen Herbert Boeckls befindet.

Er selbst hat das im Interview relativiert: „Das Ganze ist für mich eher ein Schum­mel­­expressionismus, also eine gespielte Expressivität gewesen“ (im Gespräch mit Wilfried Dickhoff, 1986). Auch wendet er sich schon Mitte der 1980er Jahre vom Zu- und Übermalen, der Betonung der Materie und dem ausgreifend Gestischen ab. Andere Aspekte und Verfahren hingegen finden sich noch in seiner aktuellen Malerei und Zeichnung: das Wechselspiel von Ernsthaftigkeit und Ironie, der kontrolliert freie Umgang mit den Formen und wie diese im Bildformat sitzen und sich als Teile des Bildgeschehens zueinander verhalten. Die Figuren selbst sind durchgehend mehr körperlich als anatomisch korrekt erfasst – mitunter verbindet ihn das mit seiner Landsfrau Maria Lassnig – und strecken sich aus oder ballen sich zusammen und erzielen daraus ihre Individualität und ihr einzigartiges Handeln als Ereignis, auch wenn dieses selbst nicht so im Fokus steht und überhaupt alles noch den Hauch des Unfertigen trägt. Anzingers Bilder erzählen lakonisch und ausschweifend zugleich. Im Übrigen kennzeichnet seine Werke der Eindruck des Spontanen, und zwar so, als würden sie schnell gemalt sein. Dazu passt der Hang zum Zeichnerischen, der in seinem Werk zunehmend an Dominanz gewinnt. Vor allem in der frühen Zeit hat Anzinger auch zerklüftete Terrakotta- und Bronze­skulpturen geschaffen, die ebenfalls die Darstellung der Figur aus der Entstehung heraus vor Augen führen. Auch diese Skulpturen kennzeichnet eine Intensität, die mit Leichtigkeit und Sensibilität einhergeht.

Die Malerei selbst zieht sich zunehmend auf die Fläche zurück, lässt dort nun auch zerklüftete landschaftliche Situationen, Körperausschnitte („Strumpf und Fuß“, 1987) und Tierdarstellungen („Pferd im Steinbruch“, 1988) entstehen. Und nachdem er zuvor vor allem mit Eitempera, Acryl- und Ölfarbe gearbeitet hat, wechselt Anzinger in den 1990er Jahren ganz zur Leimfarbe. Diese ist dünn und transparent, sie wird von der Leinwand aufgesogen und wirkt leichthin, ist aber nicht mehr korrigierbar. Und da Anzinger die Bilder nicht im Voraus durchplant, sondern im Malprozess entwickelt, verstärkt sich der Eindruck des Zügigen, das hier tatsächlich mit dem Risiko des Scheiterns verbunden ist. Ein weiteres ist die Frage des Aufhörens – wann ein Bild fertig ist –, und er vergleicht das mit dem Entwickeln von Fotografie in der Dunkelkammer, mit der Entscheidung, den Vorgang zu beenden. Seine Bilder gehen in ihrem genauen Blick und ihrem Gespür für das vermeintlich Nebensächliche über die Skizze hinaus und bleiben doch offen: Wichtig ist, dass sie sich nicht zu ernst nehmen … Ein gutes Bild entstehe in drei Stunden, ein mittleres in drei Tagen und ein schlechtes in drei Wochen, sagt Siegfried Anzinger. Und er ergänzt: Aber das schlechte brauche er, um zu den guten zu gelangen. In ihrer Zartheit und im Verschwindenden in der Fläche – teilweise aber auch mit Motiven, die sich auf die Kirchengeschichte beziehen – erinnern seine Gemälde schließlich an die Wirkung von Freskomalerei, angeregt vielleicht durch frühe Seherfahrungen in den ausgemalten gotischen Kirchen in der Steiermark und inspiriert von mehreren langen Aufenthalten in Italien.

Anzinger erweitert über die Jahrzehnte das Spektrum der Sujets. Er arbeitet bevorzugt in Zyklen und Serien, die von Einzelbildern vorbereitet sein können. Er wendet sich Szenarien und Akteuren unserer kollektiven Überlieferung zu, die vertraut und gewiss auch mit Klischees beladen sind, zu denen eigentlich nichts mehr zu erfinden, aber auch nichts zu erklären ist. Das sind, in ihren spezifischen Handlungs­zusammenhängen und mit mitunter absurden Details, die Loreley und Nixen, die Boote kapern, „Polaroid-Western“ (2012) in der Prärie, die Schöpfungs­geschichte mit der Kreuzigung, Kreuzabnahme und Auferstehung, ihren Heiligen und der Madonna (sogar: „Selbstbildnis als Madonna“, 2012). Weiterhin malt, zeichnet Anzinger Tiere, auch in scheinbar blasphemischen Konstellationen, und erotische Darstellungen, welche er inzwischen aber sein lässt. Das Eigene in der Malerei liege sowieso eher in der Umsetzung als in der Figurenerfindung, sagt Anzinger, der noch hinzufügt, als Maler enthalte er sich politisch und ergreife Partei für die Guten oder die Bösen. Kurzum, zumal aus heutiger Perspektive wirken etliche seiner Bilder inkorrekt, frech und herausfordernd. Aber sie zeichnen sich durch ihr Gespür für tieferen Sinn und im Aufbrechen tradierter, unreflektierter Vorstellungen aus.

Seit 1982 lebt Siegfried Anzinger in Köln und inzwischen auch in Wien; ab 1997 hat er als Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf gelehrt, für fünfundzwanzig Jahre. In seinem Heimatland wurde er 1985 mit dem Oskar-Kokoschka-Preis und 2003 dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet; schon 1988 hat er den Österreichischen Pavillon auf der Biennale Venedig bespielt und längst auch in den wichtigen Museen ausgestellt. Was er heute, in den Jahren 2023/2024, malt, zeigt jetzt eine Ausstellung im Oberlichtsaal des Museums Küppers­­mühle in Duisburg. Sie widmet sich seinen Zeichnungen und Malereien zum Heiligen Hieronymus. Zu sehen sind einzelne Szenen mit dem Kirchenvater, der im 4./5. Jahrhundert im päpstlichen Auftrag die Bibel übersetzt hat: als Eremit in der Einöde, mit einem zahmen Löwen an seiner Seite, vor dem Kreuz und in der Klause beim Schreiben. Anzinger ist fantasievoll und erfindungsreich und lotet auch hier das Verhältnis der einzelnen Motive und Formverläufe aus. Er beginnt an einer Stelle im Bild den Stift zu setzen und ausgehend von dort baut sich das formale und inhaltliche Geschehen wuchernd auf. Er arbeitet mit Aussparungen und Kontur­ierungen, füllt drum herum die Fläche und erzeugt so Nachtstimmungen. Die Zeichnungen entstehen in verschiedenen Techniken, vor allem mit Bleistift, teils aquarelliert, auch mit Buntstiften. Der feste Strich bannt das Ereignis wie einen Schnappschuss, als Episode, die sich mitunter im nächsten Bild in der linearen Hängung fortsetzt und im Überraschenden des Gezeichneten hintergeht. Die Energie und Intensität lassen nicht nach, Anzinger entdeckt immer neue Aspekte, denen er in eigenen Bildern nachgeht und die ihn zu anderen, neuen bildnerischen Lösungen führen. - Getrennt und in Wechselwirkung entstehen die Malereien auf Leinwand, von denen achtzehn in der Küppersmühle ausgestellt sind. Vielleicht liegt es an den größeren Formaten, bestimmt auch am höchst Sparsamen der Farben und dem Überwiegen des freien Bildgrundes, dass ein atmender Raum entsteht und als Landschaft empfunden wird und dass das Sehen nunmehr die Bildfläche durchwandert. Umso mehr wird Malerei zum Medium der Rückerinnerung, noch dazu im „Fahlen“ der Farben. Er lasse Hieronymus durch die Landschaft seiner Kindheit gehen, so Anzinger. Und dann lassen sich nicht nur Analogien zum Alpenvorland als seiner Heimat erkennen. Sondern die Figur des Hieronymus, der zurückgezogen und eigenbrötlerisch, beharrlich und brillant seiner Mission folgt, erinnert auch an einen Künstler. Und so wie jedes Bild ein komplexes Wunderwerk ist, so wirft es insgeheim ein funkelndes Licht auf seine Biographie.

Siegfried Anzinger
Geronimo, bis 30. März im Museum Küppersmühle
im Innenhafen Duisburg

www.museum-kueppersmuehle.de

TH

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