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Jürgen Grölle vor: Leider kein Hirsch mehr da, 2006, Öl auf Leinwand, 180 x 300 cm, © Künstler
Foto: Jaana Caspary

Jürgen Grölle

Assoziierte Landschaften

Alle monotone Wiederholung ist zu vermeiden. Jürgen Grölle sprüht vor Aktivität und neuen Ideen, verbunden mit einem Engagement, das vor allem in Wuppertal, aber auch an seinem Ausstellungsraum in Düsseldorf spürbar ist. Er war und ist – mit wechselnder Hinwendung – Maler, Musiker, Ausstellungsmacher und Veran­stalter kultureller Festivals, dazu engagierter Kommunikator, der Menschen zusammenbringt und Kurse für benachteiligte Gruppen gibt. Auch initiiert er den Aus­tausch seiner Künstler*innen mit Ausstellungsprojekten in Irland und Spanien. Bazon Brock hat über Jahre bei ihm Vorträge gehalten, die ebenso wie eine Reihe zur experimentellen Musik in der Ausstellungshalle in Wuppertal stattfinden.

„Wildwechsel“ hieß seine erste Ausstellung 2010 mit mehreren Künstlern und Künstlerinnen in der Friedrich-Ebert-Straße in Elberfeld. Den Terminus ‚Galerie‘ hat Grölle lange vermieden und sprach stattdessen von den „pass : projects“ als Dialog mit den Künstlern. Aber mittlerweile nimmt er an der Kunstmesse Düssel­dorf teil und kommt ohnehin auf dieselben Künstler zurück, darunter Jaana Caspary, Bert Didillon, Chris Dreier, Wolfgang Flad, Julio Rondo, Julia Zinnbauer. Und was die Veränderung vom Künstler zum Galeristen betrifft, so befindet er sich in Düsseldorf in guter Gesellschaft: von Konrad Fischer über Horst Schuler hin zu Linn Lühn und Daniela Steinfeld. Ein einziges Mal war seine eigene Malerei auf Papier und Lein­wand in der Wuppertaler Halle ausgestellt, 2018 auf Betreiben von Freunden, die ihn zum 60. Geburtstag feierten.

Jürgen Grölle stammt aus Wuppertal. 1981 hat er ein Studium an der dortigen Ge­­samt­hochschule bei Bazon Brock, Michael Badura, Guido Jendritzko und Georg F. Schwarzbauer begonnen. Angeregt von Brock setzt er das Studium 1986-1988 in Wien fort. Einerseits interessiert er sich für die expressive schwarze, übermalende Malerei von Arnulf Rainer, bei dem er sich an der Akademie der bildenden Künste einschreiben wollte. Andererseits lernt er dort Künstler des Neo Geo wie Gerwald Rockenschaub und Heimo Zobernig und deren Umfeld kennen. Stand für Grölle zuvor die malerische Handlung selbst im Vordergrund, deren abstrakt gestische Formulierungen – einerseits zart wie bei Twombly, andererseits dunkel und schwer wie bei Emil Schumacher – auf stabile Konstruktionen zurückgehen, so findet er in Wien in die Gegenständlichkeit: Er zeichnet, malt dort im Blick vertikal nach oben in der Verkürzung dessen, was er sieht. Dazwischen nimmt er Aus­brüche in den Free-Jazz vor, mit dem Saxofon. Die Wuppertaler Welt-Musiker Peter Kowald und Peter Brötzmann spielen mit ihm; das malerische und zeichnerische Werk von Brötzmann hat er vor einigen Jahren ausgestellt. Über Kowald wiederum hat er früh den Freiburger Galeristen Albert Baumgarten kennengelernt. Baumgarten führt 1990 seine erste Einzelausstellung durch und zeigt seine Werke auf den Kunstmessen in Frankfurt und Köln, wo wiederum andere auf ihn aufmerksam werden. Ein Katalog der Papierarbeiten, den die Galerie Epikur in Wuppertal 1995 herausgibt, trägt den Titel „Schatten“: schwarz, verzogen und unscharf oder als Spiegelung ist dieser noch in den späteren Malereien auf Leinwand ein zentrales Motiv. In dieser Zeit aber arbeitet er auf Packpapier oder Silikonpapier mit symmetrischen Doppelungen, die auf der Faltung mit dem Abdruck beruhen. Im Zueinander von Blöcken und breiten, aber brüchigen Linien ergeben sich Gegensetzungen schwerer und leichter Partien, von Schwarz oder Braun und Weiß. Daran anschließend setzt er kreisförmig strudelnde schwarze Formen voller Energie in einen erdig rot-braunen Farbgrund, verdichtet sie dort gewichtig, setzt sie in einem Linien­ge­flecht fort. Er lässt Gegenständliches als konkrete Form aufscheinen und verkörpert doch vor allem konzentriert expressive Malerei.  

So erfolgreich er damit auch ist, so wenig interessiert ihn eine weitere Fortsetzung des Immergleichen. Ab 1997 erneuert Jürgen Grölle, zunächst parallel dazu, seine Malerei. Er beruhigt das Bildgeschehen und arbeitet dafür verstärkt auf Leinwand. Der Impuls geht von einer scharf trennenden geraden Linie aus, die die homogene, monochrome Fläche trennt und Räumlichkeit erzeugt. Auch jetzt nimmt er unruhige, zudem pastose Setzungen vor. Mit Ölfarbe präzise meist nur an einer Stelle gemalt, initiiert sie im Bildgeschehen ein Wech­selspiel von Illusionismus und Un­gegen­ständlichkeit, welche auf das Prozess­hafte des Mediums Malerei weist und das Bild ordnet, organisiert. Ein Aufenthaltsstipendium in Chicago im Sommer 1999 verstärkt mit diesem Konzept die Land­schaftserfahrung mit den Wiesen und der Vegetation, dem Horizont und dem Himmel als Motive und Gestimmt­heiten, die sich in abstrakter, möglicher Form in sein Werk einnisten. „Die Gemälde sind reich an miteinander rivalisierenden Schattierun­gen, Struk­turen und Finishes, die zuweilen merkwürdig eigenwillig und gleichzeitig doch absolut überschwänglich wirken …“ (Paul Krainak, Ausst.-Kata­log Museum Morsbroich, Lever­kusen 2000)

Grölle klärt die Bildfläche und reduziert die Anzahl der Partien und stellt zwischen ihnen Korrespondenzen her. Er streicht mit dem Spachtel einheitliche Flächen, die Farbigkeit des Grundes ist bei den meisten Bildern stumpf. Der Schnitt kann als breites Band oder dünne Linie waagerecht oder schräg im Bildfeld verlaufen oder wie beiläufig von der Hand gezogen sein und dabei Farbabstufungen markieren: als Tren­nung zwischen hellen und dunklen Feldern. Das Gaffer Tape, welches er hori­­zontal oder schräg anlegt, um gerade Trennungen zu erhalten, bleibt bisweilen im Bild montiert. Grölle verwendet nun auch Lackfarbe, und die expressiv schwingenden Interventionen entstehen mitunter mit der Farbe aus Filzstiften. „Das, was sich in früher Malerei noch gestisch ausgetobt hat, ist in ver­änderter Form nämlich noch immer zu finden, nur erscheint es jetzt wesentlich disziplinierter und nicht mehr so sehr als eine wilde und selbstbewusste Botschaft des Künstlers an sein Publikum“, schreibt Andreas Sturies (Ausst.-Katalog Wuppertal 2018).

Landschaft und Natur bleiben gegenwärtig, und zwar so, dass sie erfunden und doch vorstellbar sind. Oder handelt es sich nicht doch um die Schatten von Skulpturen, die je nach Sonnenstand verzogen sind? Jürgen Grölle berichtet, dass er 2004 unter dem Arbeitstitel „Deutscher Wald“ leicht schräg aufragende knorrige Baumstämme mit bewegt vibrierenden Ästen gemalt hat, die wie auf einer Anhöhe etwa in der Mitte ansetzen und vom oberen Bildrand abgeschnitten sind und auf verschiedene Baumarten hinweisen. Vorbereitet hat Grölle seine neueren Gemä lde mittels kleinformatiger Bilder auf Papier, die – als Blatt selbst autonom – noch bestätigen, wie genau und kalkuliert er vorgeht und zugleich der Planung die Spontaneität des Gestus entgegensetzt. Als Favoriten für diese Zeit erwähnt er Jonathan Lasker mit der Akkuratheit seiner in Feldern mäandernden, schwingenden und rechtwinkligen Formulierungen und Günther Förg mit seinem Gespür für das wild Ausfasernde und das Gerüst der Architektur. Vielleicht ist auch Raoul de Keyser mit seinen Farbflächen und den sich schlängelnden, umschließenden Formen, die Gegenständlichkeit umspielen, dazu zu zählen. Aber die Malerei von Grölle ist lakonisch, grundsätzlich, trotzdem großzügig und verführerisch, weil so einleuchtend, aber sie ist nie wirklich ausschweifend und meist schon in der Farbigkeit reduziert. Sie bringt Ordnung in die Welt und balanciert dazu ihre Gegensätze aus, setzt Geometrie gegen organische, weiche Strukturen, konfrontiert Stillstand mit Veränderung und Vorläufigem. Die einzelnen, wenigen Elemente verhalten sich mit Bedacht zueinander, gleichen die Schwerpunkte aus, und schließlich stellt sich die Frage nach unserer Perspektive auf derartige Land­schaftsstücke, vom erhöhten distanzierten Draufschauen hin zum vertieften Ein­blick oder als reine Erinnerung, die das Wesentliche herausgreift und dadurch so viel über uns selbst mitteilt. Dem Titel kommt bei all dem eine besondere Rolle zu. Er suggeriert mitunter narrative Ereignisse oder gibt Benennungen und vermeintliche Dechiffrierungen vor und führt sie weiter vom Surrealen ins Absurde. Eine ironisch konzentrierte, aber nicht allzu sehr ernste Gestimmtheit ist – wie das Aufwühlende der frei improvisierten Musik – Teil dieser Malereien, die auf dem Sprung zu unbekannt Bekanntem sind.

Der Ausstellungsraum von Jürgen Grölle befindet sich in der Platanenstaße 11 in Flingern. Bis 6. Januar stellt dort Dorothea Nold aus und ab dem 18. Januar folgt Andreas Johnen. Die Wuppertaler Galerie befindet sich in der Friedrich-Ebert-Straße 143e im Hinterhof.

TH

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