Selbstverständlich menschlich anmutend wendet sich die aus Ahornholz geschnitzte Büste uns zu und befremdet uns im gleichen Zuge. Schultern, Brustpartie und der Kopf, der sich in unsere Richtung und leicht nach oben wendet, ruhen auf einer Plinthe. Eine übergroß geschnitzte Fliege zwischen rechter Brust und Hals erscheint recht unauffällig, da alles Holz einheitlich schwarz geflämmt ist. Der Kopf ist in Textil gehüllt, dessen Muster einem Waldboden ähnelt. Die Plinthe antwortet mit einem farblich verwandten Polsterstoff, der sie bedeckt und am Außenrand mit Polsternägeln fixiert ist. Sie war einmal der schmucke Teil einer Stuhllehne und erinnert unmissverständlich an die Vergänglichkeit aller Moden. Anstatt eines Gesichtes schließt eine rostige Eisenplatte mit textil besetztem Wulst den Kopf frontal ab. Sie hat wie die Unterseite eines Knopfes eine Öse, die zum Annähen dient und hier in ihrer Größe resolut hervorsticht. Sie ist das Element, das dinghaft zur Kontaktaufnahme oder gar einem Zugriff anreizt und sich zugleich verschließt. Entstammt dieses Objekt einer Wunderkammer? Oder ist sie die Wunderkammer selbst?
Die Büste erinnert an das Schema mittelalterlicher Reliquienbüsten, die im Kopf einen Schädel und unter Schultern und Brust weitere Gebeine bergen. Sie ist wie ihre mittelalterlichen Vorläufer auch aus Holz geschnitzt. Sie hat jedoch keine Schauöffnung, die auf kostbaren Inhalt schließen lässt. Ihr „Gesicht“ wirkt vielmehr wie eine Verschlusskappe. Gar nichts atmet die Büste aus im Sinne christlich sakraler Aufladung. Eher lässt sie an Voodoo affiliierte Objekte denken. Die geschwärzte Brustpartie reicht aber auch nicht, um etwaige postkoloniale Diskurse wachzurufen. Geheimnisvoll wirkt sie und scheint eher dem Reich des Nonsens zuzugehören. Dieses Reich aus der Mitte der Alltäglichkeit sucht seine Kraft in der Unverbundenheit seiner Elemente und regt an zum Ertragen des nicht Sinnhaften und damit zu einer grundsätzlichen Gedankenbewegtheit.
Stofflich verleitet die Büste kaum zum Anfassen. Eher evoziert sie durch das rostige Eisen, den alten Stoff oder das geschwärzte Holz eine Berührungsempfindlichkeit und hält damit wie eine Unberührbare die aktuellen Betrachter auf Distanz. Sie scheint etwas zu speichern, dessen genetischer Code uns unzugänglich bleibt. Lukas Köver fordert und fördert unsere differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit, indem er eine Paradoxie in der formalen Gestaltung von Anziehungskraft und ihrer materialästhetischen Verweigerung synchron anbietet.
@lukas_koever
„Kunst-Stücke“
In dieser Reihe schreiben Studierende der Kunstgeschichte an der H.-Heine-Universität Düsseldorf über Kunstwerke Düsseldorfer Künstler und Künstlerinnen.
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