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Alcarràs von Carla Simón – die Produzentin María Zamora und die Regisseurin Carla Simón

Die 72. Internationalen Filmfestspiele Berlin

Ein Festivalbericht von Kalle Somnitz und Anne Wotschke

Mit einer Inzidenz von über 3.500 ging die Berlinale, nachdem sie im letzten Jahr nur online zu erleben war, in diesem Jahr wieder physisch an den Start. Ein durch­­aus riskantes Unterfangen, denn wären die Corona-Maßnahmen verschärft worden, hätte sie ausfallen müssen, da man online nichts vorbereitet hatte. Das hätte Berlin, nachdem Cannes und Venedig im letzten Jahr stattfinden konnten, noch weiter ins Hintertreffen geraten lassen. Doch die Regierenden und insbesondere die Regierende waren wohlgesonnen und ließen alles stattfinden, wenn auch unter verschärften Sicherheitsbedingungen. So mussten alle Teilnehmer nicht nur vollständig geimpft sein, sondern sich auch täglich testen lassen. Dass am Ende nach mehr als 10.000 Testergebnissen nur rund 140 positiv waren, zeigt einmal mehr, dass das Kinoerlebnis wohl ziemlich sicher ist. Unter den entsprechenden Voraussetzungen natürlich und die waren zum Teil heftig: Nachdem man sich seine Karten im Internet beschafft hat, ging es nach dem morgendlichen Test in den nur halb besetzten Kinosaal, wo Maskenpflicht herrschte. Die Pressevorführungen fanden in einem einzigen Multiplexkino statt, wo es weder etwas zu essen oder zu trinken, noch irgendeine Aufenthaltsmöglichkeit gab. So fand man sich nach jeder Vorstellung, über den Notausgang aus dem Kino komplementiert, auf der Straße im winterlichen Berlin wieder. Stars waren in diesem Jahr Mangelware, der Rote Teppich fiel gleich ganz aus, was den Glamourfaktor abstürzen ließ. Keine Feten, keine Empfänge und selbst auf den Premieren-Bühnen waren nur acht Filmschaffende gleichzeitig erlaubt. Das alles war durch­aus gewöhnungsbedürftig und viele Kollegen sahen im Vorfeld wenig Sinn in einer solchen Veranstaltung, aber am Ende waren doch alle froh, dass sie stattgefunden hat, denn Filme mal wieder mit Publikum auf der großen Leinwand zu erleben, mit Kollegen und Kreativen, wenn auch in Einzelgesprächen, wieder diskutieren zu können, ist genau der Prozess, an dessen Ende sich die wahren Filmperlen herauskristallisieren. Und dass am Ende doch nicht alle einer Mei­nung sind, dafür sorgte in Berlin immer schon das Jury-Urteil zur Bärenvergabe, denn das fiel auch in diesem Jahr recht umstritten aus. So gingen eine Vielzahl der Auszeichnungen an kleine, ausgesprochen spezielle Filme aus Südkorea, Mexiko und Indonesien, die wir in unseren Kinos kaum wiedersehen werden.
Da wird ALCARRÀS der Spanierin Carla Simón hoffentlich eine Ausnahme sein, der überraschend den Goldenen Bären gewann und als gelungenes Sommer­drama um eine katalanische Familie, deren Pfirsichplantage durch eine Sonnen­kollektor-Farm verdrängt werden soll, beim Publikum ankommen sollte. Claire Denis gewann – für uns unverständlich – den Regiepreis für BOTH SIDES OF THE BLADE, ein mit Juliette Binoche und Vincent Lindon stark besetztes Liebes­ka­russell um drei Erwachsene, die sich zuweilen verhalten wie pubertäre Jugend­liche mit Hormonstau. Intensiv gespielt mit übertriebenem Finish und wenig nachvollziehbarer Motivation.

Der Gewinner der Herzen war dagegen Andreas Dresens RABIYE KURNAZ VS. GEORGE W. BUSH, der einen schwierigen Stoff publikumsfreundlich inszenierte. Dass die Geschichte von Murat Kurnaz fürs Kino zu harter Tobak ist, schwante Dresen schon früh. Kurnaz saß über fünf Jahre in Guantanamo ein, wurde ohne Anklage, ohne Beweise festgehalten und gefoltert und als er endlich entlassen werden sollte, verweigerte Deutschland ihm die Einreisegenehmigung, weil er seine deutsche Staatsbürgerschaft nicht fristgerecht verlängert hatte. So viel Drama verspricht kein großes Publikum und so wechselte Dresen die Pers­pektive und erzählt die Geschichte aus der Perspektive der Mutter Rabiye Kurnaz. Die ist ein wahrer Sonnenschein, immer positiv gestimmt und stets um das Wohl ihrer Kinder bemüht. Dass sie von Murat seit Jahren nichts mehr gehört hat, bringt sie fast um den Verstand und als sie herausbekommt, dass ihr Sohn in Quantano einsitzt, rennt sie zum nächsten Anwalt, um ihn um einen Besuchstermin zu bitten. Doch das ist erst der Anfang einer Odyssee, die sie bis vor den Supreme Court nach Washington führt. Sprachschwierigkeiten spielen hier keine Rolle, denn jeder versteht auf Anhieb, was dieses impulsive Mutter will. Wie eine Löwin kämpft sie um ihr Kind, kein Gegner schreckt sie ab und ganz nebenbei sorgt sie in ihrem Umfeld immer für beste Stimmung. Laila Stieler hat Dresens Idee in ein kongeniales Drehbuch umgesetzt, dass von der deutsch-türkischen Comedienne Meltem Kaptan genauso genial gespielt wird. Beide Frauen erhielten völlig zu Recht einen Silbernen Bären und der Film wird hoffentlich den Neustart der Kinos nach Corona beflügeln.

In einer der Nebensektionen fiel noch A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe von Nicolette Krebitz auf, in dem Sophie Rois eine Schauspiel-Lehrerin spielt, die sich in einen viel zu jungen Schüler verliebt. Die amour fou wartet mit viel Charme und Berlin-Kolorit auf und endet an der Cote d'Azur. Bis dahin sind dann aber einige verbotene Träume verwirklicht worden und wenn das alles auch nicht immer zu ernst genommen werden sollte, sprüht es vor Char­me und Eleganz.

Wenn man nach der letzten Vorstellung um 23 Uhr über den Potsdamer Platz streifte, machte der einen eher traurigen Eindruck. Abgesehen vom trüben Wetter, waren die Lichter in den Restaurants längst erloschen und Wehmut beschlich einen, wenn man an alte Zeiten dachte. Genau diesen Zugang wählte auch Ulrich Seidl für seinen Wettbewerbsbeitrag RIMINI.
Die Geburtsstadt von Federico Fellini war in den 1960er Jahren eine europäische Touristenhochburg. Einige Menschen sind damals hier sehr reich geworden. Manche leben noch immer hier und fast alles sieht auch noch so aus wie damals, nur dass alles heruntergekommen, verrostet und vergammelt ist. In verklärter Nostalgie kommen immer noch Touristen von damals, auf der Suche nach den schönsten Tagen ihres Lebens, die sie hier mal verlebt haben. An­sonsten zieht der Ort eher Gesindel an, ein idealer Playground für einen typischen Ulrich Seidl-Film, der sich mal wieder im Prekären suhlt und die Untiefen der bürgerlichen Gesellschaft auslotet. Dass er dabei seinem peinlichen Perso­nal moralische Wertvorstellungen zugesteht, ist für Seidl ungewöhnlich und wurde von einigen Kollegen als Altersmilde kritisiert. Tatsächlich macht es seinen bissigen Film menschlicher und nachvollziehbarer.

Zuletzt noch ein absoluter Geheimtipp: Als Special Gala war THE OUTFIT von Graham Moore mit Mark Rylance in der Hauptrolle zusehen. Er spielt einen Maß­schneider, der 1956 von London nach Chicago übersiedelt, weil das Aufkommen der Blue Jeans sein Geschäft ruiniert. Doch auch in Chicago gibt es niemanden, der sich seine teure Maßarbeit leisten kann… außer der Mafia. Alle (Möchte­gern)-Gangster lassen bei ihm Maß nehmen und so wird sein Laden bald zur kriminellen Kommunikations-Zentrale. Der Schneider begegnet all dem mit typisch britischer Noblesse und Verschwiegenheit, doch tatsächlich registriert er alles aufmerksam und beginnt bald selber gewisse Fäden zu ziehen. Das alles ist mit soviel Grandezza, Cleverness und schwarzem Humor inszeniert, wie wir es seit BRÜGGE SEHEN UND STERBEN nicht mehr gesehen haben.


Was wir sonst noch gesehen und erlebt haben, finden Sie in unserem Blog auf www.filmkunstkinos.de.

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