Der Frühling steht vor der Tür und die Inzidenzen wollen nicht runter gehen, Da schlagen zwei Herzen in unserer Brust: Natürlich wollen wir so schnell wie möglich unsere Kinos öffnen, wieder Filme zeigen, so wie ein jeder von uns Kultur, Kino und das öffentliche Leben wieder genießen will. Auf der anderen Seite aber wollen wir auch, dass das Kino auch sicher ist, dass unser Publikum und unser Personal möglichst gut vor Ansteckung geschützt werden. Erleichternd wirkt da ein unabhängiges Gutachten der TU Berlin und des Robert Koch-Instituts. Hiernach zählen Kino- und Theatersäle zu den sichersten Orten der Pandemie, sicherer als Büro- oder Schulräume, ja sicherer sogar als das heimische Wohnzimmer. Ansteckungsgefahr besteht eigentlich nur an den Kassen und auf Toiletten, die wir mit den im letzten Jahr erprobten Abstands- und Hygieneregeln eindämmen wollen. Wenn diese jeder einhält, dann sollte einem sicheren Kino-Erlebnis nichts mehr entgegenstehen.
Wann wir wieder öffnen dürfen, wird uns die Politik erfahrungsgemäß erst wenige Tage vorher wissen lassen. Aber zur Vorbereitung eines neuen Filmstarts braucht der Verleih nicht fünf Tage, sondern eher fünf Wochen. So werden wir in den ersten Wochen unseres Reopenings nicht auf brandneue Filme setzen können, aber auf die Highlights des vergangenen Jahres, die nun für die Golden Globes und Oscars nominiert sind. Viele Filme sind an die Streaming-Portale gewandert, aber viel mehr tolle Filme setzen aufs Kino und wollen nur auf der großen Leinwand starten, weshalb ich hier einen kleinen Ausblick auf künftige Kino-Erlebnisse geben möchte:
Voraussichtlich schon im April wird der Venedig-Gewinner NOMADLAND in unseren Kino zu sehen sein. Frances McDormand spielt sich hier schnell in die Herzen der Zuschauer: Nach dem Tod ihres Mannes und dem finanziellen Ruin ihres Heimatortes, macht sie sich vom Staat und dem Leben enttäuscht auf, um noch einmal vorn anzufangen und zwar als Nomadin, die in ihrem Caravan quer durch den amerikanischen Westen reist und sich mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs über Wasser hält. Es ist ein Trip durch Trump-Land voller sozialer Ungerechtigkeiten und falscher Versprechen, doch die Politik spielt hier keine Rolle. NOMADLAND ist vielmehr ein warmherziges, humanistisches Porträt einer Frau, die sich von der sogenannten Zivilisation abgewendet hat und sich die Freiheit nimmt, ihr eigenes Leben im Einklang mit der Natur zu leben.
Ein ähnlich hochkarätiger Film ist DER RAUSCH, in dem Regisseur Thomas Vinterberg einen von Mads Mikkelsen gespielten Lehrer das etwas eingeschlafene Leben an einer Schule mächtig durcheinander wirbeln lässt. Jedenfalls hat er drei Kollegen gefunden, die mit ihm einen Versuch wagen: Ab sofort wollen sie nur noch mit einem bestimmten Alkoholpegel vor der Klasse stehen und sehen, welche Auswirkungen dies auf ihren Unterricht hat. Politisch unkorrekt, aber mutig, plädiert hier Vinterberg augenzwinkernd für die enthemmende Wirkung von Alkohol. Das belebt nicht nur den Unterricht, sondern hebt auch ganz allgemein die Stimmung. Auch wenn der Film Abstürze nicht auslässt, betrachtet er vornehmlich positive Seiten des Alkoholkonsums. Suchtgefahr, Gewaltpotential und Unzurechnungsfähigkeit kommen hier jedenfalls kaum vor. Vielmehr steht der Spaßfaktor im Vordergrund, so dass man schnell den Verdacht hegt, auch bei den Dreharbeiten sei es nicht ganz nüchtern zugegangen.
‘Büro-Ekel’ Christoph Maria Herbst darf in Sönke Wortmanns neuer Komödie CONTRA ebenfalls Unwesen an einer Schule treiben, wenn auch an einer Hochschule. Hier unterrichtet er als Jura-Professor und macht sich gerne mal im überfüllten Hörsaal über Studenten mit Migrationshintergrund lustig. Doch im Falle von Naima hat er es wohl übertrieben, was ihn vor den Untersuchungsausschuss seiner Fakultät bringt. Man baut ihm eine Brücke: Wenn er eben jene Naima in Sachen Rhetorik so fit macht, dass sie den Debattierwettbewerb der Hochschulen gewinnt, darf er weiter unterrichten. So kommt es zum Culture Clash, der ohne Netz und doppelten Boden von beiden Seiten erbarmungslos geführt wird. Wenn sich am Ende die beiden doch annähern und ein wenig Verständnis füreinander entwickeln, hat der Zuschauer eine fulminante Komödie mit jeder Menge Wortwitz und Esprit auf höchstem Niveau hinter sich.
Für ROSAS HOCHZEIT hat der Lockdown einen Start in der kalten Jahreszeit verhindert. Das könnte ein Vorteil sein, denn Icair Bollains neue spanische Komödie ist ein wahrer Sommerfilm. Sie erzählt von Rosa, die kurz vor ihrem 45. Geburtstag steht. Sie ist ‘everybody's darling’, immer wenn es mal nicht klappt, ist sie zur Stelle und springt ein. So in ihrem Job als Kostümbildnerin, wie auch privat, wo sie immer der Notnagel für ihren Bruder und Vater ist. Als letzterer auch noch bei ihr einziehen will, platzt ihr der Kragen und sie beschließt, mal an sich selber zu denken. Diese im Grunde ein wenig tragische Geschichte ist mit so viel Wärme und typisch spanischer Lebensfreude erzählt, dass sie zum Sommerhit des Jahres werden könnte.
Ein wahrer Frühlings-Film ist dagegen FRÜHLING IN PARIS, das Regiedebüt der gerade mal 21-jährigen Suzanne Lindon, der Tochter von Vincent Lindon. Dass Papa am Set mitgeholfen hat, ist nicht sehr wahrscheinlich, zu ausgeprägt ist der persönliche Stil der Newcomerin, die eine ganz eigene Coming-of-Age-Geschichte über die erste Liebe im sommerlichen Montmartre erzählt.
Ihr gelingt dabei ein Film voller Leichtigkeit, der sich an keine Regeln und Vorbilder hält, sondern als unbekümmerte, ganz eigene Variante daherkommt, die in ihrer Selbständigkeit und radikalen Freiheit an die Nouvelle Vague erinnert. Dies ist wohl auch einigen anderen aufgefallen, denn das Regie-Debüt wurde sogleich nach Cannes und Toronto eingeladen.
Das war nur eine kleine, willkürliche Auswahl der interessantesten Filme. Das Angebot für das Reopening unserer Kinos ist jedenfalls reichhaltiger, spannender und unterhaltender denn je. Man kann sich also auf tolle Stunden im Kino freuen, mit Filmen, die einen schnell vergessen lassen, dass man wahrscheinlich erst einmal noch Maske tragen muss.
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