In Rotterdam weht einem jedes Jahr Ende Januar ein frischer Wind um die Ohren. Das gilt besonders im übertragenen Sinne, dann findet das jährliche Filmfestival statt, eine der wichtigsten europäischen Plattformen für die internationale Filmkunst. Die außergewöhnlich breite Auswahl an Filmen und Veranstaltungen repräsentierte auch in diesem Jahr die Zukunft von Film, Kino und bildender Kunst mit all seinen Schnittstellen.
Der deutschsprachige Film war unter anderen mit Christoph Hochhäuslers Paranoia-Thriller „Die Lügen der Sieger“ über Manipulation und Manipulierbarkeit der Presse in der Reihe „Critic's Choice“ zu sehen, die in diesem Jahr wiederbelebt wurde. Kritiker Rüdiger Suchsland begleitete den Film und stellte Ausschnitte seiner eigenen Doku „Von Caligari bis Hitler“ voran und setzte damit den historischen Fokus auf den Schauplatz Berlin. Als Experte für den subversiven Film kuratierte Olaf Möller im Rahmen des Programms „Signals“ die Sektion „Really ? Really.“ Der von Ulrich Seidl produzierte und von seiner Gattin Veronika Franz und Severin Fiala inszenierte „Ich seh, Ich seh“ erinnert an Georges Franjus Meisterwerk „Augen ohne Gesicht“ und ist ein gutes Beispiel dafür, dass intelligentes deutschsprachiges Genre-Kino möglich und nötig ist. Reagierte das Publikum hier noch gemäßigt verstört, gab es bei der Weltpremiere von „German Angst“ Beschimpfungen. Der unabhängig produzierte Horror-Epsiodenfilm, bei dem Jörg Buttgereit („Nekromantik“) nach langer Zeit mal wieder in Sachen Film gemacht und eine Episode beigesteuert hat, wird seinem Titel gerecht. Die grelle und blutige Farce um Missbrauch, Folter und Sexsucht will schockieren und tut es auch. Ganz anders funktioniert Ingo Haebs deutscher Wettbewerbsbeitrag „Das Zimmermädchen Lynn“. Die originell inszenierte Romanverfilmung um ein Zimmermädchen mit Identitätsproblemen, das sich auch gerne mal unter dem Bett des Gastes im Hotelzimmer versteckt, beeindruckt besonders durch die Hauptdarstellerin Vicky Krieps.
Rotterdams pulsierende Vielfalt zeigt sich auch darin, jedes Jahr unzähligen Filmen eine Bühne zu bieten, die aus Welten stammen, welche ansonsten einen blinden Fleck auf unserer kulturellen Landkarte darstellen. Der in Äthiopien produzierte Film „The Crumbs“ des Spaniers Miguel Llansò bietet eine eigenwillige postapokalyptische SciFi-Story mit dem charismatischen Hauptakteur Daniel Tadessa. Ein besonderes Erlebnis war das anschließende Filmgespräch mit den beiden und ihrem Produzenten. Ein Vergnügen ganz anderer Art lieferte der jährlich auf dem Festival vertretende Takashi Miike („Audition“) mit seinem comicartigen Slasher „As the Gods Will“, einer bissigen Antwort auf gelangweilte Teenager, die sich in gewaltverherrlichenden Videospielen verlieren. Die niederländische Docu-Fiction „Hearts Know* the Runaway Brides“ von Kris Kristinsson hingegen stellt augenzwinkernd 19 Bräute aus mehr als vier Kontinenten in den Mittelpunkt, die an ihrem Hochzeitstag die Flucht ergreifen. Was treibt sie dazu? In der Berlin-Episode wird übrigens die Braut von Anna Maria Sturm verkörpert. Der Tiger-Awards-Beitrag „Gluckauf“ des Niederländers Remy van Heugten erzählt von einer intensiven Vater-Sohn-Beziehung im Kleinkriminellenmilieu in der holländischen Provinz. Die Doku „Above and Below“ des Schweizers Nicolas Steiner beleuchtet auf eine fast poetische und respektvolle Weise extrem ungewöhnliche Lebenswelten: Menschen, die in Abwassertunneln unterhalb von Las Vegas leben oder in der weiten Wüste Utahs ihre Marsmission durchexerzieren. Zum großen Publikumsliebling des Festivals avancierte das neuseeländische Biopic „The Dark Horse“. Es geht um die wahre Geschichte des Maori und Schachgenies Genesis Potini, der sich trotz psychischer Desolatheit für sozialschwache Kinder eingesetzt hat. Vorsicht, es handelt sich hierbei nicht um ein Rührstück, sondern um großes Kino mit Nachhalleffekt. Cliff Curtis, international bekannt u.a. durch „Whale Rider“, ist grandios als Genesis Potini besetzt. Schon jetzt gilt „The Dark Horse“ als weiterer Meilenstein des neuseeländischen Films. Bleibt zu hoffen, dass er bald auch in Deutschland einen Kinostart erhält.
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