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Berlinale Bär

67. Filmfestspiele Berlin

Ein Festivalbericht von Kalle Somnitz, Anne Wotschke und Silvia Bahl

Festivaldirektor Dieter Kosslick stellte gleich zu Beginn der diesjährigen Berli­na­le den Stellenwert des politischen Films heraus, und tatsächlich zogen sich in den folgenden Tagen die engagierten Statements gegen Trump und für Flücht­linge und mehr Menschlichkeit wie ein roter Faden durch Pressekonferenzen und Filmtalks. In der Tat verhandelten viele Arbeiten politische Themen, was sie allerdings nicht zwangsläufig zu guten Filmen machte. So war schon die Eröffnungsgala Django eher enttäuschend. Zwar hatte sich jedermann auf das Biopic des berühmten Gitarristen und Komponisten Django Reinhardt gefreut, doch das Regiedebüt von Etienne Comar wusste kaum dramaturgische Akzente zu setzen und Hauptdarsteller Reda Kateb („Die schönen Tage von Aranjuez“) blieb merkwürdig blass. Trotz stimmiger Musikpassagen, kommen nur selten Emotionen auf. Selbst seine Flucht vor den Nazis und die Sabotageakte der Resistance geben dem Film keinerlei Drive. Erst am Schluss, als im Abspann die Polizeifotos von umgekommenen Sinti und Roma zu rekonstruierten Klängen von Djangos verloren gegangener Sinfonie zu sehen sind, gelangt die Tiefe und Tragik ins Bewusstsein, welche diese Geschichte in sich birgt. So jedenfalls wird der Film dem schillerndsten Vorreiter des europäischen Jazz und Be­grün­der des Gypsy-Swing kaum gerecht.

Eine wahrlich solide Arbeit lieferte Stanley Tucci („Der Teufel trägt Prada“ oder „Spotlight“) mit Final Portrait ab, in dem er uns von dem amerikanischen Schriftsteller und Kunstliebhaber James Lord erzählt, der während einer Paris-Reise im Jahr 1964 dem Bildhauer und Grafiker Alberto Giacometti Modell für sein Porträt sitzt. Terminiert auf wenige Sitzungen muss Lord seine Abreise immer wieder verschieben, weil der Maestro, nach jeder vermeintlichen Fertig­stellung, das Bild sogleich wieder übermalt und von vorne beginnt. Erst allmählich begreift Lord, dass dies zur Arbeitsmethode Giacomettis gehört und durch einen Trick gelingt es ihm am Ende doch, sein Portrait mit nach Hause zu nehmen. Nebenbei erzählt uns Tucci bei den vielen Sitzungen über Gespräche, Familie und Freunde Details aus dem Leben des oft unleidlichen Künstlers und vieles über seine Arbeitsweise, was gelegentlich an Henri-Georges Clouzot „Le mystère Picasso“ erinnert.

Ein sehenswertes Künstlerportrait ist auch Andres Veiels Dokumentarfilm Beuys, der unzählige Stunden von Filmmaterial, das im Museum Hamburger Bahnhof lagert, spannend zusammen montiert. Dabei nimmt man gerne die schlechte Qualität der Originalaufnahmen in Kauf, weil sie einen intimen Einblick in Beuys’ Arbeitspraxis bieten, der seiner Zeit so weit voraus war, dass weder die 68er noch Die Grünen ihn letztlich in ihren Reihen wissen wollten. Beuys war ein Freund des streitbaren Diskurses, hatte einen kindischen Spaß daran, wenn ihm mal wieder eine Aktion gelungen war, die Leute dazu veranlasste, bei ihm privat anzurufen und „Arschloch“ ins Telefon zu brüllen. „Immerhin hat er seinen Arsch mal hochgekriegt und es bis zum Telefon geschafft“, resümiert der provokante Künstler zufrieden. Auch stellt Veiel den Kunstbegriff Beuys klar, der ihn sagen ließ: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Damit meint er nicht, dass jeder Mensch ein guter Maler oder Bildhauer sei, sondern dass Kunst immer als ein geteilter Wahrnehmungszusammenhang zu verstehen ist. Dadurch erst erhält sie ihre soziale und politische Dimension.

Volker Schlöndorff neuer Film Rückkehr nach Montauk ist dem Schrift­steller Max Frisch gewidmet, was einen Schweizer Kollegen zu der kritischen Nachfrage veranlasste, ob Schlöndorff meine, dass sich Frisch über diese Wid­mung freuen würde. Tatsächlich hat dieser zeitlebens nichts von Literatur­adaptionen gehalten, und es sein Leben lang verhindert, dass diese sehr persönliche Novelle je verfilmt wurde. Nun hat ein deutscher Produzent die Rechte gekauft und Schlöndorff die Gelegenheit gegeben, eine eigene persönliche Geschichte daraus zu machen. Skarsgård spielt zwar gut, ist für die Rolle des narzisstischen Womanizers dennoch fehlbesetzt. Auch wenn sich der alternde Protagonist zunehmend selbst demontiert, bleibt der Film hartnäckig auf der Seite der männlichen Fantasie – und wird nicht nur damit der komplexen Vorlage in keinster Weise gerecht.

Dass Georg Friedrich für seine Rolle in Thomas Arslans ebenfalls misslungenem Vater-Sohn-Drama Helle Nächte einen Silbernen Bär erhielt, ist reichlich un­verständlich – da hat er uns in Josef Haders Wilde Maus weit besser gefallen. Damit sind wir bei einer ganzen Reihe von Filmen, die schon im März in unseren Kinos starten und auf den folgenden Seiten beschrieben stehen. Hierzu zählen neben Wilde Maus auch der Abenteuerfilm The Lost City of Z und T2 Trainspotting, mit dem Danny Boyle eine sehenswerte Fortsetzung seines eigenen Kult-Hits geschaffen hat, in der er sich selbst quer durch das Original zitiert. Ebenso das opulente Historiendrama Der junge Karl Marx von Raoul Peck. Besonders erfreulich war, dass der Silberne Bär für die Beste Regie an Aki Kaurismäkis Die andere Seite der Hoffnung ging. Neunmal war Kaurismäki bereits mit Filmen in Berlin, doch nie hatte man ihn in den Wettbewerb geladen. Erst seitdem er mit „Le Havre“ in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurde, konnte Berlin nicht nachstehen. Umso mehr freut diese späte Aus­zeichnung.

Ein kleines Highlight setzte Calin Peter Netzers Ana, mon amour, der schon 2013 mit „Mutter und Sohn“ einen Goldenen Bären gewann. Darin wird die symbiotische Beziehung eines rumänischen Ehepaares auf die Probe gestellt, als die lebenslang unter Angstphobien leidende Ana durch eine Therapie geheilt wird und hierdurch neues Selbstbewusstsein entwickelt. Sie befreit sich aus der sie erstickenden Fürsorge ihres Mannes, was das jahrelange Ehegefüge zu zerstören droht und wiederum ihn in die Therapie treibt. Innere Struktur geben diesem überaus komplex und mit Rückblenden in die Vergangenheit der Protago­nisten erzählten Film die Therapiesitzungen, die wechselnd ihre und seine Per­spektive beleuchten. Die glaubhaft aufspielende Darstellerriege und der auf den Punkt gesetzte stimmige Schnitt, der mit einem Silbernen Bären belohnt wurde, machen diesen Film sehenswert.

Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio ist mittlerweile nicht nur ein Wahl­berliner, sondern eröffnete nach dem großen Erfolg von „Gloria“ in Kreuzberg sogar ein Restaurant mit dem Namen seiner ausgezeichneten Titelheldin. Auch dieses Jahr schafft er, mit seiner dezenten wie anrührenden Inszenierung von Eine fantastische Frau, den Raum für eine weitere große Frauenrolle. Marina, eindringlich verkörpert von Daniela Vega, ist eine Trans-Frau. Anstatt die Annahme eines bestimmten Milieus oder Genres zu bedienen, macht Lelio gerade das Moment des Unerwarteten auch auf der Ebene der Erzählung zum Programm. Die lebhafte Kellnerin und insgeheime Opern-Sängerin lebt in einer erfüllten Partnerschaft mit dem wesentlich älteren Orlando, der für sie Frau und Kinder verlassen hat. Eines Abends jedoch erleidet dieser einen Gehirnschlag, stürzt die Treppe hinunter und verstirbt kurz darauf im Krankenhaus. Die verzweifelte Marina muss sich nun nicht nur mit ihrer eigenen Trauer, sondern einer komplexen, und wie ihre Umgebung es nennt, heiklen Situation auseinandersetzen. Denn schon die Frage nach der Rechtmäßigkeit ihres Angehörigen­status gerät zur Konfrontation mit den Diskriminierungsmechanismen der Gesell­schaft. Leider hatte die Jury nicht den Mut, die exzellente Hauptdar­stellerin auszuzeichnen, aber immerhin gab es einen Silbernen Bären für das Beste Drehbuch.

Der Goldene Bär stand in diesem Jahr schon am zweiten Festivaltag fest. Von Körper und Seele heißt der Titel des ungarischen Wettbewerbsbeitrags übersetzt und schaffte unter den Kritikern der verschiedensten Länder tatsächlich eine Art Konsens des Berührtseins. Regisseurin Ildikó Enyedi kehrt mit ihm nach einer langen persönlichen Krise zurück ins Filmschaffen und vielleicht verdankt sich die sanfte Melancholie, die das romantische Drama so außergewöhnlich macht, eben jener Sensibilität für die düsteren Momente des Lebens. Eine zärtliche Traumszene durchzieht den Film von Beginn an, ein Hirsch-Paar streift bedächtig durch einen schneebedeckten Wald, und es streift einander. Ähnlich verhält es sich mit den beiden Außenseitern, deren Annäherung auf ebenso humorvolle wie behutsame Weise an einem völlig konträren Ort stattfindet, einem Schlachthaus. Ildikó Enyedi gelingt eine ganz spezielle Form der Romantik, deren verträumte Schwere immer wieder von lakonischem Humor durchbrochen wird. Mária ist Asperger-Autistin und so wird die ungewöhnliche Liebesgeschichte zu einer poetischen Erkundung, was Nähe sein kann. Somit endete das Festival zur Abwechslung nicht mit einem expliziten politischen Statement bei der Preisvergabe – jedoch mit einer selten erlebten Zufriedenheit der meisten mit der Jury-Entscheidung.

Unseren ausführlichen Bericht mit allen Filmen, die wir gesehen haben finden Sie unter filmkunstkinos.de.

Kalle Somnitz, Anne Wotschke und Silvia Bahl

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