In Rotterdam waren zum nunmehr 46. Mal die Tiger los und wurden gefüttert mit Filmen aus der ganzen Welt. Insgesamt wurden 484 Filme gezeigt, davon 105 als Welt-Premiere. Eine davon war Super Dark Times, das Spielfilmdebüt von Kevin Phillips. Was anfängt wie ein Porträt von Pubertierenden in einer behüteten US-Vorstadtsiedlung in den 90er-Jahren, entwickelt sich zum spannenden Psychothriller. Fein komponiertes Genre-Kino mit Independent-Touch von denselben Produzenten, die 2014 auch mit Jeremy Saulniers großartigem „Blue Ruin“ für Furore sorgten. Dass Genre-Kino intelligent und von ehrlichem Interesse für die Protagonisten gespeist sein kann, beweist auch Frédéric Schoendoerffers Le convoi mit Benoît Magimel („Die Klavierspielerin“) in der Hauptrolle. Auf den ersten Blick stylishes Action-Kino mit rasant inszenierten Autorennen hat Schoendoerffer ehrliches Interesse an seinen Protagonisten aus dem Kleinkriminellenmilieu und schildert im Gespräch nach dem Film seine Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus den Banlieus, die kaum eine Chance haben, weil sie von der Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Ganz am Puls der Zeit ist Lucas Belvauxs Chez Nous, der von einer Krankenpflegerin in einer tristen nordfranzösischen Kleinstadt handelt, die von einer rechtspopulistischen Partei zur Bürgermeisterin gemacht wird, aber tatsächlich nur für politische Zwecke missbraucht wird. Parallelen zur Front National sind beabsichtigt!
Dass packendes Sci-Fi-Kino auch ganz ohne Effekte auskommen kann, beweist Marjorie Prime von Michael Almereyda, der auch persönlich zur Vorstellung anwesend war. Basierend auf einem Theaterstück geht der u.a. mit Tim Robbins und Geena Davies prominent besetzte Film philosophischen Fragen um Artificial Intelligence und das Dasein an sich nach. Die 86-jährige Hauptdarstellerin Lois Smith, die die Rolle schon im Theater gespielt hat, ließ es sich nicht nehmen von New York nach Rotterdam zu kommen, um mit den durchweg beeindruckten Zuschauern nach der Vorstellung noch lange zu sprechen. Die amüsante und rührende Dokumentation Donkeyote von Chico Pereira wurde unter anderen von der Film und Medien Stiftung NRW gefördert und erzählt die Geschichte des alten spanischen Gauchos Manolo, der unbedingt mit seinem Esel in die USA reisen will, um dort auf dem Pfad der verfolgten Indianer zu wandeln. Dass das nicht so einfach wird, kann man sich denken. Charmante Gesellschaftskritik als Roadmovie der ganz anderen Art. Die unaufgeregte Dokumentation David Lynch: The Art Life legt den Fokus auf den Maler David Lynch und zeigt dabei den exzentrischen Künstler in seinem Studio in den Hollywood Hills, wie er an seinen Bildern arbeitet oder mit seiner kleinen Tochter Lula hingebungsvoll auf der sonnendurchfluteten Veranda malt. Das eine steht gleichberechtigt neben dem anderen. Er wirkt friedlich, während er in vielen ruhigen Einstellungen frei von sich selbst plaudert, Zeugnisse seiner Vergangenheit zeigt und uns dadurch auch den Blick auf seine düsteren, lynchesken Welten erhellt. Seine Erzählungen starten mit der frühen Kindheit und enden mit der Fertigstellung von „Eraserhead“. Dabei scheint David Lynch immer die Oberhand zu behalten, fast als hätte er selbst Regie geführt. „66 Kinos“ ist das Ergebnis von Philipp Hartmanns Kinotour zu seinem Film Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe. Eine schöne Bestandsaufnahme über die deutsche Programmkinolandschaft und die Befindlichkeiten der Kinomacher. Wir sind mit unserem Bambi natürlich auch vertreten.
IFFR | International Film Festival Rotterdam
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