Fünfzig Jahre ist nun ein Mann tot, dessen schriftstellerische Qualitäten erst jetzt ans Tageslicht kommen. Edward Lewis Wallant hat in seinem kurzen Leben – er starb mit 36 Jahren an einem Gehirnschlag – tatsächlich nur drei Romane schreiben können, der vorliegende, der erste auf deutsch, ist sein letzter gewesen und die Veröffentlichung dieses letzten hat er auch schon nicht mehr miterlebt.
Hauptfigur darin ist Norman Moonbloom, ein trauriger, einsamer Wicht, der, nachdem er erfolglos Literatur, Kunst und Zahnmedizin studiert hat, nun für ein kleines Entgelt als Verwalter von vier Mietshäusern, die alle seinem Bruder Irwin gehören, ein kärgliches Leben fristet. Seine Aufgabe ist es, allwöchentlich die Mieten einzutreiben, was, wie man sich vorstellen kann, ihm bei der Mieterschaft keine sonderliche Sympathien verschafft. Ein gewisser Sugarman, KZ-Überlebender, raunt ihm zum Beispiel ziemlich böse Dinge zu: „Sie besitzen den Humor derjenigen, die Lampenschirme aus Menschenhaut herstellen…“ Viele Mieter sind notorisch klamm und betteln um Aufschub, andere wiederum sind einsam, und froh darüber, dass überhaupt jemand bei ihnen vorbeischaut, und die nehmen Norman dann in Beschlag. Man bekommt hier ein tiefer gehendes Psychogramm quasi gleich mitgeliefert. Jedenfalls sorgt diese überaus heterogene Gruppe von Mietern dafür, dass ein facettenreiches Bild von oftmals schrägen Typen und unterderhand ein atmosphärisches Großstadtkaleidoskop der 50er Jahre entsteht. Wie nebenbei gelingen Wallant intensive nostalgische Beobachtungen, wenn er Straßen beschreibt, wo es noch ein Geschäft für Schuhspanner gibt oder eine Verkaufsstelle für Puppenaugen mit dem Hinweis: „Nur für den Fachhandel!“
Schrullige Geschichten nebst handfesten Problemen muss Norman sich anhören, es entsteht eine einzigartige Melange aus Witz, Wut und Tragik. Natürlich, die Mietsituation ist in den Augen des Betroffenen immerzu dramatisch – oder sie wird dramatisch überhöht. Einige Wohnungen sind in einem erbärmlichen Zustand, man bräuchte Klempner, geschulte Fachkräfte, das Problem ist, dass es weit und breit kein Geld für die notwendigen Reparaturen gibt.
Zu Anfang erscheint Norman, der Mann mit dem Quittungsblock, als gleichgültiger, ja fast misanthropischer Mensch, der beim Mieter Del Rio beispielsweise eine Kakerlake entdeckt und „kurzes Mitgefühl mit dem gefährdeten Insekt“ verspürt, gegenüber Del Rios Schicksal aber kalt bleibt. Mit der Zeit verändert er sich aber, er lernt dazu, er hat eine Reihe von staunenden „Ach“-Erlebnissen, und Auslöser dafür ist vor allem Mieterin Sheryl, die überraschend Interesse an seiner Person findet, kurzum, es „funkt“ ganz gewaltig zwischen beiden. Fortan ist Norman wie ausgewechselt. So nimmt er die ganzen unerfreulichen Mieterprobleme bald selbst in die Hand und hilft aus, wo er kann. Als er mit zwei Helfern eine morsche Wand einschlägt und ein zähflüssiger Schwall Wasser alles und ihn selbst überflutet, ruft er wie bei einer Erweckung: „Ich bin geboren!“ Die Szene endet in einem sagenhaften, montypythonartigen Delirium, da tritt wirklich der helle Wahnsinn zutage.
Nicht immer geht es bei Wallant so drastisch wie in dieser Szene zu, meistens ist der Witz subtil und mit der jeweiligen Lebensgeschichte verknüpft. Aber es ist es erstaunlich, dass man einem vermeintlich trockenen Thema wie der Eintreibung von Mietzahlungen ein solches Maß an Komik abgewinnen kann.
Edward Lewis Wallant: Mr Moonbloom. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Bloomsbury Verlag, Berlin 2012, 320 S.,
aus biograph 01/2013
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