Nun soll es mit dem mittlerweile 74–jährigen Frank Bascombe also vorbei sein. Richard Ford hat ankündigt, dass jetzt, mit dem fünften Roman über den Herold des gehobenen Scheiterns, Schluss sein soll. Gemach, wir werden sehen.
Frank ist noch immer in der Immobilienbranche tätig, hat aber einen Gang heruntergeschaltet. Er wirkt nachdenklich wie eh und je, lässt aber auch nicht viel an sich heran. Letzteres ist natürlich trügerisch, ansonsten würde er nicht gleich zu Anfang (und auch wieder am Ende) so intensiv über den Begriff „Glück“ nachdenken. Wenn er nebenbei Bruchstücke seiner Biografie zum Besten gibt, erkennt man eine aufgewühlte Vita, in der es von Schicksalsschlägen nur so wimmelt.
Wozu auch zahlreiche Krankheiten gehören. Eine Krankheit hat hier in erster Linie aber Franks Sohn Paul, der 47 Jahre alt und unheilbar an ALS erkrankt ist, seine Muskeln werden bald den Dienst quittieren. Frank möchte mit ihm eine letzte große Tour machen, eine Art Vater–Sohn–Ding durchziehen und am Valentinstag beim legendären Mount Rushmore (mit den Gesichtern der vier in den Fels gesprengten Präsidenten) aufschlagen. Und zwar in einem Wohnmobil. Paul ist mäßig begeistert und wird das auch des Öfteren zum Ausdruck bringen.
Nach wie vor zeichnet den vom Leben gebeutelten Frank eine markante Reflektiertheit aus, womöglich aber versteckt sich etwas anderes hinter all dem immer wieder auftauchenden offenen oder sublimierten Altersgrimm, dem scheinbar abgeklärten und unerschütterlichen Trotz. Dazu böte der Tripp die Blaupause. Und tatsächlich: Die Dinge geraten in Bewegung, allerdings rasch auch in Schieflage, Franks vermeintliche Sicherheiten werden durch die Präsenz und die Repliken seines Sohnes löchriger, die Gedanken an dessen baldiges Ableben (einen Sohn hatte er schon verloren, den 9–jährigen Ralph, lange her) konterkarieren die besten Absichten. Dabei hatte Frank sich zuvor noch tapfer eine eigene Philosophie zurechtgelegt und mit der anberaumten Reise vor allem für „robuste Verdrängung“ optiert. Daraus wird nichts. Seine Gestimmtheit wirkt sogar noch eine Spur existenzialistischer als sonst, nicht zufällig zitiert er mehrmals Heidegger. Tod, Verschwinden und die damit zusammenhängenden Ängste pulsen wie ein leiser Basso continuo permanent im Hintergrund.
Unterwegs, und das lockert die bleiern zu drohende Atmosphäre spürbar auf, gibt es eine Reihe von Ablenkungen. Frank lernt bei einem Zwischenhalt eine asiatische Masseurin kennen und verknallt sich dermaßen sie, dass er ihr einen Heiratsantrag macht. Es bleibt eine Episode, aber es zeigt, dass der in die Jahre gekommene Mann noch eine gewisse Lust an Veränderung verspürt.
Andere Zwischenstopps bieten Einblicke in die Stimmung des Landes unter Trump. Die Kommunikation zwischen Vater und Sohn steht dabei weiter im Vordergrund. Bei Paul fällt auf, dass er wie ein Teenager reagiert, sein Verhalten und seine Sprache wirken oftmals pennälerhaft und ruppig („Du bist ein komischer Kacker“; „Warum sind wir an diesen Scheißort gefahren. (…) Krieg mal bessere Laune und leck mich“). Was mit der Zeit besser wird zwischen beiden, sind neckische „Spielchen“, etwa beim Trump–Bashing. Schließlich steht Franks nüchternes Resümee im Raum: „So weit sind wir gekommen. So wenig haben wir geschafft.“ Mit seinem geballtem Lebensballast konnte Frank keine echte Hilfe sein, und gegen das Sterben, den absehbaren Tod seines Sohnes, hatte auch er nichts in der Hand. Die gesamte Unternehmung endet in einem „Vaterscheitern“.
Am Ende stirbt Paul übrigens nicht an ALS, sondern an einer nicht weiter spezifizierten Erkrankung. Frank kann lediglich auf ein paar neue Erfahrungswerte verweisen und sich vom einstmals geschätzten Heidegger lösen. Viel Input also bei wenig Outcome, aber eine gewinnbringende Lektüre allemal.
Richard Ford: Valentinstag. Roman. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2023, 383 S., 28.-€
aus biograph 10/2023
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