Der Brite Anthony Powell (1905–2000) – er wurde an dieser Stelle bereits vorgestellt – gehört zu den meist unterschätzten Autoren des 20. Jahrhunderts, seine Romane, allen voran der 12–bändige Zyklus „Ein Tanz zur Musik der Zeit“, mit dem er etwas bekannter wurde, bieten ein durchgängig witziges, geistreiches, mit grotesken Versatzstücken gespicktes Abbild des englischen Großbürgertums. Weitere Romane, in denen er der britischen Bohème und der oft süffisant auftrumpfenden upper–class mit eigenwilligem Humor begegnete, füllen sein Portfolio; auch sein Roman „Handelnde und Duldende“ von 1936 ist eine schelmische Burleske, bei der vielleicht nur der Titel etwas ungelenk wirkt (das Original lautet aber genauso).
In einem Londoner Café treffen sich zu Anfang die beiden Herren Chipchase und Maltravers. Chipchase schreibt Bücher und Artikel, etwa über Kunstgalerien, und zeigt ein ausgeprägtes Interesse an Psychologie und Psychoanalyse, einem Bereich, dem er sich, obwohl komplett ohne Ausbildung, selbst als Therapeut widmen will. Maltravers hingegen ist beim Film tätig, schreibt Dialoge und Drehbücher. Beiden Herren sind notorisch klamm, Maltravers denkt aber in größeren Kategorien, würde gern einen eigenen Film drehen, doch seine Ehe ist zerrüttet, was womöglich immense Kosten nach sich ziehen wird. In Person eines gewissen Blore–Smith gerät für beide Männer unversehens ein Opfer ins Blickfeld, ein junger Kerl, der nicht genau weiß, wohin mit seinem Geld; die drei Figuren treffen in einer Galerie aufeinander, wo Blore–Smith sich als absolut ignoranter Kretin zu erkennen gibt, ein Gemälde kauft, bei dem der Galerist froh ist, es endlich loszuwerden.
Chipchase und Maltravers wittern unverzüglich ihre Chance. Chipchase will Blore–Smith mittels eigens angesetzter Sitzungen von seiner angeblichen Einsamkeit und Depression heilen, und Maltravers will ihn in sein Filmprojekt integrieren, wobei es ebenfalls darum ginge, während der Dreharbeiten zu „Ödipus Rex“ das Psychologische zu vertiefen (womit Chipchase wiederum ins Spiel käme). Die beiden spielen sich also die Bälle zu. Selbstredend müsste Blore–Smith für alle entstehenden Kosten aufkommen.
Tatsächlich lässt er sich darauf ein. Zunächst soll er mit seinen „Förderern“ die weite Welt kennenlernen, und so begibt man sich gemeinsam nach Paris (später nach Berlin), damit Blore–Smith unter die Leute kommt; man besucht diverse Nachtclubs, versackt im Bordell und Blore–Smith wird nach Strich und Faden ausgenommen. Immerhin verliebt er sich in eine gewisse Mrs. Mendoza, die beiden wollen bald sogar zusammenziehen, aber auch da geht in der Folge einiges schief.
Powell legt uns ein wunderbar drolliges Personenkabinett vor, das bis in die Nebenfiguren hinein ausgeleuchtet ist, gerade die Frauen sind mit ihrer Frivolität, ihrem eigensinnigen Gehabe, eine wundersame Bereicherung. In die Berliner Episode gelangt neben viel Babelsberg–Kolorit auch etwas zeitgenössische Geschichte: „Braunhemden“ werden von unseren Helden registriert und reserviert in Augenschein genommen: „‘Die werden bald an die Macht kommen‘, sagte Maltravers. ‚Es ist bestimmt klug, sich gut mit ihnen zu stellen.‘“ Powell ist psychologisch jedenfalls gut aufgestellt, er spürt den Witz in den Verhaltensweisen auf, wobei ihm einiges zur Farce gerät – mit einem total durchgeknallten Marquis etwa, der sich plötzlich duellieren will, mit Filmaufnahmen am Set, die immer wieder durch lächerliche Kinkerlitzchen konterkariert werden, und nicht zuletzt durch schrille Dialoge. Irgendwann wird dieser Ringelreihen sogar Blore–Smith zu bunt. Chipchase und Maltravers lassen es sich dennoch nicht nehmen, ihm dreist ihre „Schlussabrechnung“ zu überreichen. Das nennt man wohl Chuzpe.
Anthony Powell: Handelnde und Duldende. Roman. Aus dem Englischen von Heinz Feldmann. Elfenbein Verlag, Berlin 2023, 236 S., 22.-€
aus biograph 07/2023
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